Mothering Day 1924. Jane ist ein Findelkind. Wie viele andere Waisen erhält sie den wohlklingenden Namen Fairchild. Über sich selbst sagt sie, sie sei ein unbeschriebenes Blatt – und das sei doch die beste Voraussetzung für eine Geschichte, vielleicht auch für ihre, die nach einem Liebesakt beginnt:
„Der Sonnenschein begrüßte ihre Nacktheit, er befreite ihr Tun von der Verschwiegenheit, obwohl es zutiefst geheim war. Und in all den Jahren ihrer – wie sollte man das nennen? Intimität? Freizügigkeit? – waren sie nie so nackt gewesen wie jetzt.“
Ein Mann und eine Frau. Für einen kurzen Moment sind sie in ihrer Nacktheit einander ebenbürtig. Das ist der Beginn. Adam und Eva im Paradies, denke ich, aber die Vertreibung folgt. Gesellschaftlich ist Paul unerreichbar für Jane. Sie arbeitet als Dienstmädchen auf Beechwood. Er wird in zwei Wochen eine reiche Frau heiraten. Paul nutzt den Mothering Day, um seine Geliebte nach Upleigh, ins Haus seiner Eltern einzuladen. Die Dienstboten haben an diesem Festtag frei und die Herrschaften planen ein Picknick, zu dem der erste warme Frühlingstag im März einlädt. Ihre Zweisamkeit ist von kurzer Dauer. Paul ist noch mit seiner Verlobten verabredet. Als er fort ist, streift Jane nackt durch die leeren Zimmer, betrachtet die Bilder und Fotografien, isst etwas in der Küche, verweilt länger in der Bibliothek, denn sie liebt Bücher. Paul hatte am Morgen noch konstatiert: „Du bist klug, Jay, weißt du das? Du bist klug.“ Das zeigt auch ihr weiterer Werdegang, der (leider nur) angedeutet wird, wenn die gealterte Jane – über 90-jährig – auf ihr Leben als erfolgreiche Schriftstellerin zurückblickt und immer wieder an den Mothering Day 1924 denken muss. Ein Tag, der sie zu der werden lässt, die sie ist: eine selbstbewusste Frau.
Ein bisschen Downton Abbey, ein bisschen Jane Austen, dazu eine Prise Freizügigkeit der 1920er Jahre… Graham Swift nennt seine Heldin Jane Fairchild, doch wie ihr Kunstname wirkt leider auch ihre Geschichte auf mich allzu konstruiert. Denn wie sie es letztlich schafft, die gesellschaftlichen Grenzen ihrer Zeit zu überwinden, bleibt im Dunkeln. Ein leises Buch für einen schönen Sommernachmittag, das ich zwar gern gelesen habe, das aber schnell verblasst.
Graham Swift: Der Festtag, dtv Verlagsgesellschaft, 144 Seiten, Mai 2017.
Tipp: Besonders schön ist die Geschichte als Hörbuch gelesen von Iris Berben mit sinnlich-melancholischer Stimme…