Viele Bücher, die in meinem Regal stehen, sagen mir heute nichts mehr. Oft weiß ich nur noch: mochte ich oder mochte ich nicht. Bei Kent Harufs Roman „Unsere Seelen bei Nacht“ bin ich mir noch nicht so sicher, in welche Kategorie es fällt. Mein erster Gedanke war: Ich gehöre (noch) nicht zur Zielgruppe. Aber ganz so einfach komme ich dann doch nicht weg. Fragen wirft es für mich schon auf: Was weiß ich von den Bedürfnissen älterer Menschen? Wie tolerant bin ich meinen eigenen Eltern gegenüber? Und habe ich eigentlich eine Ahnung davon, was dem Menschen, der mit mir das Bett teilt, durch den Kopf geht?
Kent Harufs Romane spielen in der fiktiven Kleinstadt Holt im US-Bundestaat Colorado. Dort leben die Witwe Addie und der Witwer Louis. Addie sucht Louis auf, um ihm einen ungewöhnlichen Antrag zu unterbreiten: Sie bittet ihn, die Nächte mit ihr zu verbringen. Dabei geht es ihr nicht um Sexualität (aber auch das wird später noch einmal ein Thema sein), sondern zuallererst geht es um die Nähe zu einem Menschen. Addie und Louis erfahren Dinge über den anderen, die sie nicht wussten und nicht vermutet hätten. Sie teilen ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart miteinander. Aber ob es für sie auch eine Zukunft gibt? Die Ressentiments von Familien und Nachbarn bedrohen das, was sie aneinander haben.
„Du bist schon wieder zu streng mit dir. Wer bekommt denn schon das, was man sich wünscht?“ (…) „Immer sind es zwei Menschen, die blindlings aufeinanderstoßen und all die Ideen und falsch verstandenen Erkenntnisse ausleben. Allerdings finde ich nach wie vor, dass das nicht für uns gilt, jedenfalls nicht hier und nicht jetzt.“„Das Gefühl habe ich auch. Aber du könntest mich irgendwann satthaben und wieder frei sein wollen.“ „Wenn das passiert, hören wir auf“, sagte sie, „so haben wir es doch vereinbart, auch wenn wir es nie so deutlich ausgesprochen haben.“
Kent Haruf lebte übrigens auch in Colorado. Er starb 2014 nach einer schweren Krankheit. Seine Witwe sagte in einem Interview, dass es für ihren Mann nichts Schöneres gab, als nachts ihre Hand zu halten und über die Dinge des Tages, die ihm noch nachgingen, zu sprechen.
Auch wenn mich „Unsere Seelen bei Nacht“ nicht so gepackt hat, ist es ein ehrliches Buch, das sich einem wichtigen gesellschaftlichen Thema widmet: den menschlichen Bedürfnissen im Alter. Vielleicht lese ich es später noch einmal…
Kent Haruf: Unsere Seelen bei Nacht, Diogenes, März 2017, 208 Seiten.