Mit den besten Absichten

Hannah Kent hat sich den düsteren Geschichten verschrieben. Wo sich drei Flüsse kreuzen spielt in einem kleinen Dorf in Irland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Kalte karge Winter folgen rauen arbeitsreichen Sommern. Die Wege der Dorfbewohner führen zum Fluss, auf die Felder, selten in die weit entfernte Stadt, um auf den Markt oder zum Arzt zu gehen. Nie wagen sie sich hinter die Weißdornhecke, denn dort hausen die Feen. Vor ihnen muss man sich in Acht nehmen. Die Menschen fürchten sich vor ihren Verwünschungen und setzen alles daran, sich durch besondere Rituale vor ihren Flüchen zu schützen.

Gut, dass es die alte Nance Roche gibt. Die Menschen mögen sie nicht besonders, aber sie brauchen sie. Sie lebt am Waldrand und gilt als Kräuterfrau und Heilerin. Sie hat allerhand Mittelchen bei Krankheiten, aber auch Schutzzauber gegen das Feenvolk parat. Dem neuen Geistlichen allerdings ist sie ein Dorn im Auge.

„Die Menschen werden nicht zulassen, dass Sie mich vertreiben. Sie brauchen mich. Sie werden schon noch sehen, dass mich die Menschen hier brauchen.“ (…) „Ich rate dir, Nance, lass ab vom Geschäft mit der Totenklage und den Feengeschichten. Es ist Teufelszeug. Und wer mit dem Teufel speist, braucht einen langen Löffel.“

Als sich die Unglücksfälle im Dorf häufen, wird der jahrhundertealte Aberglaube neu befeuert. Vor allem die Bäuerin Nóra kann es sich nicht erklären, warum ihr Mann Martin auf dem Feld zusammenbricht und tot ist. Jetzt muss Nóra nicht nur für sich allein, sondern auch noch für ihren Enkel sorgen. Doch Micheál ist ein besonderes Kind: Er kann weder laufen noch sprechen, obwohl er bereits vier Jahre alt ist. Nóra versucht, das Kind von der Außenwelt abzuschirmen, aber sie braucht Hilfe. Sie stellt das Mädchen Mary als Magd ein, die zwar ihr Bestes gibt, aber die Versorgung des Kindes zehrt an Nóras Nerven. Als die Kuh keine Milch mehr gibt, im Dorf ein Kind totgeboren wird und weitere unerklärliche Dinge geschehen, hegt Nóra einen Verdacht: Micheál ist für das Unglück verantwortlich. Nance wird hinzugezogen und erkennt in ihm einen „Wechselbalg“. Der echte Micheál wurde von den Feen entführt und durch eine kranke Kreatur ausgetauscht. Die beiden Frauen setzen alles daran, dem Kind die Fee auszutreiben und greifen zu immer grausameren Mitteln. Dabei wollen sie doch nur das Beste für Micheál…

Mit großem Einfühlungsvermögen widmet sich Hannah Kent einem schwierigen Thema nach einem wahren Fall: dem Umgang mit einem behinderten Kind in einem Umfeld, das die geistige Wende zwischen Mittelalter und Neuzeit noch nicht vollzogen hat. Es dauert, bis sich der moderne, aufgeklärte Geist in der Fläche Bahn bricht. Und es gibt Vermischungen von Vernunft und Aberglaube, bis heute.

Und noch etwas: Sehr spannend fand ich, wie die damalige Justiz diesen Fall behandelt und beurteilt hat. Von meiner Seite aus eine klare Leseempfehlung.

Hannah Kent: Wo sich drei Flüsse kreuzen, Droemer-Knaur, September 2017, 432 Seiten.

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