Babylon. Ich denke dabei sofort an Babylon als eine der wichtigsten Städte des Altertums. Ich denke an die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel, der den Menschen die Sprachverwirrung gebracht hat. Ich denke an das babylonische Exil – Trauma des Volkes Israel, das in der Fremde seine Identität zu bewahren sucht und sich nach der Heimat sehnte. Fremdsein, Heimat, Identität, Vereinzelung, Einsamkeit, Freundschaft – für mich sind das große Begriffe hinter den oft ziemlich banal wirkenden Alltagsbeschreibungen in Yasmina Rezas Babylon.
Paris 2017. Es beginnt damit, dass Elisabeth – eine Patent-Ingenieurin im 17. Arrondissement in Deuil-l’Alouette – eine Party plant, zu der sie eine Menge Pärchen eingeladen hat. Sie hat nicht genug Gläser und Stühle für diesen Anlass. Während ihr Mann Pierre auf die Details keinen großen Wert legt – für ihn könnten es auch Plastikgläser sein – möchte Elisabeth, dass alles perfekt wird. Für jedes Getränk ein extra Glas. Am Ende wird sie viel zu viele haben. An diesem Abend wird das Nachbarspärchen Jean-Lino und Lydie einen banalen Streit über Bio-Hähnchen haben, eine Meinungsverschiedenheit. Später, als alle Gäste gegangen sind, und die Gastgeber im Bett, klingelt es an ihrer Tür. Jean-Lino steht davor und erklärt, er habe soeben seine Frau erwürgt.
„…wir stolzieren an jemandes Arm einher, als hätten wir als einziger Mensch auf Erden das große Los gezogen. Man muss sich mit diesen strahlenden Ausnahmemomenten zufriedengeben. Man kann im Leben nicht darauf hoffen, dass etwas andauert.“
Warum Jean-Lino Lydie erwürgt hat, bleibt unklar. War es der Streit auf der Party? Totschlag im Affekt? Jean-Lino wirkt recht emotionslos, langweilig und unscheinbar. Wichtig ist ihm nach der Tat vor allem, dass der kranke Kater gut versorgt wird. Was findet Elisabeth an Jean-Lino? Was sie mit ihm verbindet, ist schwer in Worte zu fassen. Eine Liebesbeziehung ist es nicht. Eine Art Freundschaft. Eine Art Verständigung. Dass das nach Außen befremdlich wirkt, wird klar, als Elisabeth verhört wird und sich gegen eine Komplizenschaft verteidigen muss. Die polizeiliche Routine stört für eine Zeit lang die Welt im im 17. Arrondissement in Deuil-l’Alouette.
Neben den „Ausnahmemomenten“, den strahlenden oder den düsteren, versinkt das Leben der Beteiligten wieder in Langeweile und in Leblosigkeit. Für mich war der Stoff manchmal leider so zäh wie das Leben der Protagonisten.
Übrigens: Das Reich Babylon hatte seinen strahlenden Moment in der Menschheitsgeschichte. Es ist bereits lange untergegangen.