Herman Koch hat einen neuen Roman auf dem Markt: Der Graben. Es ist nach Angerichtet mein zweiter Koch. Bereits an dem Cover kam ich einfach nicht vorbei: Signalgrün(gelb?) mit lila Tulpen. Da werden Frühlingsgefühle geweckt – ich hätte also das Buch allein schon wegen des tollen Covers gekauft. Herman Koch ist dafür bekannt, dass er nach und nach unter die blitzsaubere Oberfläche der gutbürgerlichen Gesellschaft abtaucht und dort einigen Schmutz zutage befördert. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen…
Der Graben ist aus der Sicht des Amsterdamer Bürgermeisters Robert Walter erzählt. Eigentlich müsste er ein glücklicher Mensch sein. Er hat Erfolg und Ansehen, Familie und Freunde, eine Frau, die er liebt und die ihn ebenfalls aufrichtig zu lieben scheint. Doch Robert ist ein eifersüchtiger und argwöhnischer Mensch, der seine Mitmenschen genau beobachtet und jedes noch so kleine Detail interpretiert. Seine übersensiblen Antennen wittern schon bald einen Verrat der eigenen Ehefrau, die – nach seiner Beobachtung – eine Affäre mit dem Dezernenten Maarten van Hoogstraten unterhält. Je distanzierter und oberflächlicher sich die beiden miteinander geben, umso sicherer ist sich Robert, dass sie eine Affäre haben.
Roberts Frau Sylvia wird als Südländerin beschrieben, deren genaues Heimatland aber verschwiegen wird, auch ihr richtiger Name bleibt geheim. Warum? Mit einer Erklärung dazu beginnt der Roman.
„Ich nenne sie Sylvia. Das ist nicht ihr richtiger Name – ihr richtiger Name würde nur ablenken. Die Leute verbinden alles Mögliche mit Namen, vor allem wenn es keine einheimischen sind, wenn sie keine Ahnung haben, wie man sie ausspricht, geschweige denn, wie man sie schreibt. (…) Woher sie kommt, darüber hülle ich mich vorläufig noch in Schweigen.“
Das Geheimnis um Sylvia wird stark eingeführt, ständig wiederholt, aber nie aufgelöst. Dabei trägt die Herkunft meines Erachtens nicht viel aus, denn Sylvia erscheint mir zumindest völlig angepasst an die holländische Lebensweise – und abgeklärt. Sie bleibt recht blass – südländisches Temperament? Fehlanzeige. Roberts Eifersuchtsphantasien hätten auch in jeder anderen Konstellation gegriffen (schöne Frau und ein durchschnittlich aussehender Mann mit Minderwertigkeitskomplex). Von Anfang an wirkt Robert hoch neurotisch – für mich war er leider zu keiner Zeit eine angenehme Figur, kein Sympathieträger.
Am besten hat mir die Nebengeschichte mit Roberts Eltern gefallen. Die 93jährige Mutter und der fast 95jährige Vater beschließen, ihrem Leben gemeinsam ein Ende zu setzen. Tatsächlich ist es jedoch mehr die Idee des Vaters als der Mutter. Es kommt zum Äußersten, aber die Geschichte nimmt eine unerwartete Wendung, von der ich nichts vorwegnehmen möchte. Über die Abgründe, die sich ums Thema Alter, Pflege, Sterben und Sterbehilfe auftun, hätte ich gern noch mehr gelesen.
Für Amsterdam-Liebhaber und Koch-Fans sicher ein empfehlenswertes Buch, sprachlich top, aber mich konnte die Haupthandlung nicht ganz überzeugen.
Herman Koch: Der Graben, Kiepenheuer&Witsch, Februar 2018, 304 Seiten.