Anfangen mit dem Ende

Gian Domenico Borasio: Über das Sterben.

Nachdem ich am Anfang des Jahres Frau Magnussons Kunst, die letzten Dinge des Lebens zu ordnen gelesen habe, hat es mich gepackt, weitere Bücher zum Thema Tod und Sterben, die bei mir seit langem einen eigenen SuB begründen, zur Hand zu nehmen. Zwei davon haben es geschafft, von mir tatsächlich gelesen zu werden. Warum ich so lange dafür gebraucht habe? Weil es mir vermutlich so geht wie vielen anderen: Mich beschäftigt das Thema (und vorsorglich kaufe ich auch schon mal ein paar Bücher!!!), aber zu dicht soll mir der Tod dann auch wiederum nicht kommen. Bisher habe ich mir ihn erfolgreich vom Hals gehalten. Dabei ist es doch so, wie Gian Domenico Borasio sein Sachbuch übers Sterben beginnt:

Mit Ausnahme der Geburt betrifft kein medizinisches Ereignis so unweigerlich alle lebenden Menschen wie das Sterben. Und doch ist es ein weitgehend unerforschtes Gebiet.

Das beruhigt mich. Nicht nur ich betrete Neuland, die Medizin auch. Ne, Moment mal…. die Medizin hat keinen Schimmer vom Sterben? Das beruhigt mich ganz und gar nicht. Die medizinische Forschung und die Ausbildung von Medizinstudenten fokussiert sich auf den Beginn des menschlichen Lebens, das Sterben bietet scheinbar kein attraktives Forschungsfeld – dabei gäbe es hier Nachholbedarf.

Borasio erkennt einen fatalen medizinischen Trend: die Überversorgung. Die Medizin greife zu oft und teilweise unnötig in natürliche Prozesse ein. Geburt und Sterben laufen in den meisten Fällen am besten ab, wenn sie durch ärztliche Eingriffe möglichst wenig gestört werden.

Für das Ende des Lebens bedeutet das:  Das Sterben wird gern an die vermeintlichen Profis delegiert: Mediziner und Krankenhäuser. Nicht selten werden alle möglichen (oder unmöglichen) Therapien ausgeschöpft. Vielleicht um gegen die Hilflosigkeit und Ohnmacht, die das Sterben auslöst, vorzugehen? Dabei braucht es am Ende des Lebens nicht allein Ärzte und Pflegende. Es braucht Menschen, die nicht ausschließlich auf die Krankheit des Patienten ausgerichtet sind, sondern sich an den Bedürfnissen des sterbenden Menschen orientieren. Gian Domenico Borasio ist Palliativmediziner – er weiß, dass neben der Schmerztherapie auch für das geistige und spirituelle Wohlergehen gesorgt sein muss, auch nachzulesen in einem ZEIT-Interview im Rahmen der ZEIT-Reihe „Der Tod ist groß“ aus dem letzten Jahr.

Im besten Fall arbeiten Mediziner und Pflegekräfte Hand in Hand mit Angehörigen, Seelsorgern, Psychologen, Sozialarbeitern, Hospizhelfern…  Für all die Menschen, die wie ich nicht so genau wissen, wer wann für was die beste Ansprechperson ist und was sich hinter Palliativmedizin verbirgt, bietet Borasios „Über das Sterben“ grundlegende Infos.

Eric Wrede: The End.

Wer weniger sachlich-wissenschaftlich, dafür recht unterhaltsam und abwechslungsreich sich nach dem Sterben dem Tod widmen will, der kann nun Eric Wrede zur Hand nehmen. Ich sage vorweg: Ich habe nicht alle der 11 Kapitel komplett gelesen. Das liegt aber nur daran, weil ich nicht so gerne Interviews lese (mein Problem). Dafür fand ich Wredes Prolog samt Testament und Anweisungen für seine eigene Trauerfeier ein Highlight. Der Bestatter ist sich der Endlichkeit des Lebens bewusst.  Er liebt und lebt, was er tut.

Der englische Titel The End und die häufigen englischen Versatzstücke fand ich beim ersten Leseeindruck effektheischend, dann aber sehr passend, weil sie auf Eric Wredes erstes Leben anspielen – da war er als Musikmanager unterwegs, und natürlich auf seine Musikleidenschaft. Nicht zuletzt ist auch die Wahl der Musik bei einer Trauerfeier nicht zu unterschätzen.

Das Bestattunsgwesen unterliegt in Deutschland einer Vielzahl an Regeln, z.B. darf niemand die Asche seiner Mutter im eigenen Garten vergraben (in Deutschland herrscht Friedhofszwang). Aber neben den Regeln stellt Eric Wrede die Möglichkeiten vor, die Trauernde haben, um Abschied zu nehmen. Er wirbt für eine Trauerfeier nach Maß und nicht von der Stange. Das gefällt mir.

Überhaupt geht es letztlich darum, sich selbst ein paar Gedanken gemacht zu haben, bevor es zu spät ist.

Ich persönlich möchte nicht verbrannt werden. Ich habe keine Lust auf Feuer. Das ist keine rationale Begründung, aber ich glaube, man kann diese Frage nur irrational beantworten. Man sollte sich nur über die jeweiligen Folgen bewusst sein. Wer sich in dieser Hinsicht unsicher ist, sollte sich lieber zwei Tage Zeit nehmen, um in Ruhe darüber nachzudenken. So eine Entscheidung lässt sich nicht mehr rückgängig machen.

Wie wahr! Also, genug morbides Lesefutter. Irgendwie habe ich jetzt Lust auf Roald Dahls Küsschen, Küsschen… Ich weiß auch nicht, warum!

Gian Domenico Borasio: Über das Sterben. Was wir wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen, C.H. Beck.

Eric Wrede: The End. Das Buch vom Tod, Heyne-encore.

ZEIT-online: Das Buch vom Tod

2 Kommentare

  1. Ein spannendes Thema, dem ich mich auch sehr gerne (wobei „gern“ ja ausdrücken würde, dass es mir gefällt 🤔) widme. Tatsächlich haben sich die Bücher über den Tod bei mir eine eigene Kategorie ergaunert und ich lese irgendwie immer mehr darüber. Das schlägt natürlich auch aufs Gemüt! Interessantes Buch, das du hier vorstellst. Werde ich mal auf meine Liste packen!

    Falls du noch Lesetipps zum Thema suchst, schau doch mal bei mir im Thema vorbei *hustwerbunghust* (https://killmonotony.de/thema-tod-trauer-und-krankheit) 😀

    Eine schöne Woche dir!

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