Ich habe es lange vor mir hergeschoben, dieses Buch. Gelesen habe ich es dann doch nicht: Ich habe es mir vorlesen lassen. Und ich fand, dass der Text von Siri Hustvedt und die Stimme von Iris Berben ganz wunderbar zusammenpassen. Ich schreibe „Text“ und nicht Geschichte oder Roman, weil mir die Textart auf seltsame Art und Weise querlag. Manche Onlinehändler führen das Buch unter der Kategorie „Biografische Romane“ – nicht zu verwechseln mit einer Autobiographie.
Ich – so unbedarft, wie ich immer an Bücher herangehe, sie aufklappe und lese oder einfach ein Hörbuch lade und auf Start drücke, beschäftige mich im Vorfeld nicht mit Genres/Gattungs- oder Stilfragen. Und so hatte ich den Eindruck, Siri Hustvedt spricht selbst zu mir über sich und ihr erstes Jahr in New York 1979. Der Eindruck wurde genährt, weil sie die Protagonistin wie sich selbst aussehen lässt (groß, schlank, blond) und ihr die eigene Geschichte mit norwegischen Wurzeln und einer Kindheit in Minnnesota anhängt. Und wenn es ihre eigene Geschichte ist, die sie dort in Erzählform aufbereitet, bekommen auch viele kleine Details eine besondere Note. Wie ihr winziges Appartment aussah und wo es lag, wo sie ihren Kaffee trank, wen sie traf, welchen Film sie sah oder welches Theaterstück, dass ihr irgendwann das Geld ausging und sie von Abfällen lebte, die sie im Park zusammenklaubte. Zwischendurch herrscht aber immer mal wieder eine seltsame Langeweile im Text, aber keine böswillige. So ist das wahre Leben nun mal: Das echte Leben ist kein Kino-Blockbuster. – – Ein Erzählstrang hat mich aber von Anfang an gestört: S. H. versucht sich an einer Detektivgeschichte mit einem weiblichen Pendant zu Sherlock Holmes… aus meiner Sicht ist dieser Teil entbehrlich oder fehlt mir der nötige Grips, um den Sinn zu verstehen?
Mein Aha-Moment…
Dann lernt Minnesota/S. H. aber nicht Paul Auster kennen, mit dem Siri Hustvedt seit 1982 verheiratet ist, sondern einen Physiker, den die Romanfigur später heiratet. Und von da an war bei mir die Verwirrung komplett. Also alles nur erdacht? Warum keine „echte“ Autobiographie? (… oder eine „fiktive Biographie“ – Erinnerung trägt immer auch Fiktion in sich – wie Matthias Brandt sie geschrieben hat, Link unten) Die hätte ich sehr gern gelesen.
Siri Hustvedt ist eine beeindruckende Schriftstellerin und Philosophin. Ihre Sprache ist klar, prägnant, messerscharf, genau. Ihre Einsichten manchmal philosophisch (schade, dass man im Hörbuch nichts anstreichen kann). Und besonders gefallen haben mir z.B. die Rückblenden in ihre Kindheit, ihre Träume, Überlegungen, die sie bereits anstellt. Ihr Vater, der Arzt, lobt sie einmal, indem er sagt, sie werde später bestimmt eine gute Krankenschwester. Und sie nimmt ihm diesen Satz übel, reibt sich daran, denn er fordert sie heraus: Warum traut der Vater ihr nicht zu, dass sie Ärztin wird? Warum liegt für ihn der Vergleichspunkt auf der Krankenschwester? S. H. sieht sich herabgesetzt und angestachelt, es dem Vater zu zeigen: Sie will etwas aus ihrem Leben machen. Und sofern sie doch für Siri Hustvedt steht, hat sie das dann ja auch geschafft. (Jetzt würde ich gern ein Plädoyer für die Krankenschwester halten…)
Es gab Momente, da hat mich Frau Hustvedt eingeschüchtert, indem sie ihre Romanfigur, die ihr zum Verwechseln ähnelt, mit einer außerordentlichen Intelligenz ausstattet, die sich überall beweisen und hervortun will. Sie ist über alle Maßen gebildet. Auf jedem Gebiet kann sie mitreden. Niemand – schon gar kein Mann – kann ihr das Wasser reichen. Sie ist selbstbewusst und dazu auch noch schön – schön wie ein Model. – Puh, etwas viel Superwoman! In der ZEIT online las ich in einer Rezension, Frau Hustvedt nerve mit ihrem „weiblichen Narzissmus“. Und ich finde, da ist etwas dran.
Und dann gibt es da natürlich auch noch einen #metoo Moment, einen sexuellen Übergriff, den die Romanfigur erlebt und traumatisiert.
Mein Fazit in drei Sätzen:
Ich habe gerne zugehört und bin nirgends ausgestiegen. Die Hauptfigur S. H. konnte ich nicht von Siri Hustvedt trennen. Die Vermischung beider Siris ergab für mich eine merkwürdige Mischung mit schalem Beigeschmack.
Das Hörbuch ist im Argon Verlag erschienen.
Die Hardcover Ausgabe ist erschienen bei Rowohlt: Damals von Siri Hustvedt
Ich empfehle: Matthias Brandts Raumpatrouille, in denen er Geschichten aus seiner Kindheit erzählt – sein nächster Roman Blackbird erscheint übrigens am 22. August und ich bin sehr gespannt darauf!