Home is where it hurts

So wie auf dem Bild sieht es aus, wenn ich konzentriert lese. Und seit langem habe ich mal wieder etwas in einem Roman gemarkert! Ich weiß wirklich nicht, wann ich das überhaupt einmal getan hätte. In der Regel behandle ich Bücher sehr pfleglich und gebe sie oft noch weiter zum Lesen in andere Hände. Aber bei „Klopf an dein Herz“ von Amélie Nothomb konnte ich nicht anders – und ich weiß schon jetzt, dass ich das schmale Buch mit dem großartigen Inhalt noch einmal lesen werde.

Warum so überschwenglich, wo ich doch sonst so mega kritisch bin? – – Weil die Geschichte mich kalt erwischt hat. An vielen Stellen – unheimlich vielen! – kam es mir vor, als schreibe Amélie Nothomb über das, was mich umtreibt. Schwierige Mütter-Töchter-Schwester-Beziehungen gibt es in meinem Umkreis auch. Und die Fragen nach Eifersucht und Neid sind auch meine Fragen – auf diesen beiden niederen Gefühlen basierte der Mord- und Intrigenkomplott meines ersten Romans (Rothard/Nur eine Prise Mord).

Aber zum Inhalt von „Klopf an dein Herz“!

Marie ist wunderschön. Sie ist jung und hat das Leben noch vor sich. Doch sie wird mit 19 Jahren schwanger. Olivier ist überglücklich und macht Marie einen Heiratsantrag. Marie willigt ein – hadert aber fortan mit ihrem Schicksal. Sie sieht sich all ihrer Möglichkeiten beraubt. Für ihre erstgeborene Tochter Diane kann sie keine Liebe aufbringen. Ganz im Gegenteil: Marie ist schon bald eifersüchtig auf dieses kleine, hübsche und liebenswerte Wesen. Als ihre Kaltherzigkeit auch für andere offensichtlich wird, beschließen die Großeltern, Diane die Liebe und Fürsorge angedeihen zu lassen, die sie zu einer starken Persönlichkeit heranreifen lässt. Sie nehmen sie bei sich auf. Als ihre Großeltern sterben, bricht Diane den Kontakt zu ihrer Familie ab und konzentriert sich allein auf ein Ziel im Leben: Sie möchte Kardiologin werden (typisch für Amélie Nothomb, diese Doppeldeutigkeit! Es geht hier wie dort um Herzensleid…)!

Home is wehre it hurts

Als Diane an der Universität eine Professorin kennenlernt und sich mit ihr anfreundet, tritt mit ihr eine weitere Mutter-Tochter-Konstellation in ihr Leben, die sie an ihre Kindheit erinnern lässt. Sie nimmt sich der vernachlässigten Professorentochter an – zum Mißfallen ihrer Freundin. (…)

Diane wird als sehr klug und reflektiert dargestellt, auch als Kleinkind kann sie das Verhalten der Mutter richtig deuten und Schlüsse daraus ziehen (Das erinnert mich ein bißchen an Ian McEwans altklugen Fötus aus der „Nußschale“). Diane begegnet der Lieblosigkeit ihrer Mutter mit intellektueller Abgeklärtheit. Aber manchmal holt auch sie der Schmerz ein:

Doch mit einem Mal fühlte sie, wie ihre Seele zerbrach und einen Abgrund freigab, der ihr ganzes Wesen zu verschlingen drohte, so mächtig war der Sog dieses Schmerzes.

Aber sie wehrte sich.

Die Frage, die sich stellt: Wie kann man als erwachsene Frau Frieden mit der Vergangenheit finden? – – Diane gibt die Antwort: Indem man die Dämonen der Kindheit zurücklässt.

Fazit:

Amélie Nothomb schreibt knapp und präzise. Ihre Geschichten treiben mit pschychologischer Genauigkeit voran. Nach 150 Seiten ist Schluss, aber kein Wort fehlt. Für mich sind ihre Werke  „moderne Kunstmärchen“.

Anders als in Volksmärchen werden die Figuren zuweilen „gebrochen“ und deren Probleme psychologisiert, so dass sie auch „innere“ Wandlungen vollziehen. (wikipedia)

Welche Wandlungen Amélie Nothomb ihren Figuren noch zuschreibt? Das werde ich nicht verraten, sondern rate zum Selberlesen!

Amélie Nothomb, Klopf an dein Herz, Diogenes, 2019.

Buchbesprechung bei br2

Negativ besprochen wurde der Roman übrigens im Deutschlandfunk und als Kitsch abgetan – die Handlung entwickele sich nach der Logik eines Schnittmusters für Konfektionsware… (Carsten Hueck). Lesen ist ja immer Geschmackssache.

Buchbesprechung im Deutschlandfunk Kultur.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s