Das ZDF hat Juli Zehs Roman verfilmt: Unterleuten. Ein zerrissenes Dorf. Der Dreiteiler ist ausnahmslos wunderbar besetzt – das ganze Ensemble bietet die erste Riege gern gesehener deutscher Schauspielerinnen und Schauspieler auf: Dagmar Manzel, Bettina Lamprecht, Mina Tander, Miriam Stein, Thomas Thieme, Charly Hübner (mal fies und finster), Jörg Schüttauf, Bjarne Mädel, Ulrich Noethen sind dabei – und das ist nur eine Auswahl.
Ein Heimatfilm ist es geworden – in wunderschöner Kulisse und ganz und gar nicht tristesse, so wie ich es mir vor ein paar Jahren ausgemalt habe. Sich in der Sonne wiegende Kornfelder. Eine Frau reitet über Wiesen und Felder. Sie hat einen alten Hof gekauft – wildromantisch wirkt das auf mich. Ein Ort, in dem ich vielleicht Urlaub machen würde … Aber hinter der friedlich wirkenden Kulisse gibt es mehr als ein dunkles Geheimnis, das darauf wartet, gelüftet zu werden. Nicht nur dass es einen feinen Unterschied macht, ob man in Unterleuten aufgewachsen oder zugezogen ist, ob man aus dem Osten oder dem Westen stammt, auch durch die Familien, die seit Jahrzehnten die Geschicke des Dorfes bestimmen, geht ein Riss: Man ist sich spinnefeind.
Mein persönliches Fazit: Trotz schöner Bilder, hervorragender Schauspieler und einem Bestseller als Vorlage bleibt leider die Verfilmung hinter dem Roman zurück – warum? Die Filme schreiten zu langsam voran. Das Tempo stimmt nicht – schleppend nennt es die Fernsehkritik:
Die Serie bleibt durch ihr schleppendes Erzähltempo, einlullender Musik und viel beschaulicher Landschaft weit hinter dem Roman zurück. (Karsten Umlauf, SWR2)
Das Buch fand ich großartig.
Es ist die Geschichte von Ost und West, Stadt und Land, Profitgier und Idealismus, Egoismus und Gemeinschaftssinn, Geschichte und ihre Bewältigung.
Die Story hat mich von Anfang an gepackt. Wie durch ein Brennglas schaue ich nach Unterleuten, einem fiktiven Ort irgendwo im Brandenburgischen.
In Unterleuten soll ein Windpark entstehen. Es geht um zwei Grundstücke, die für die Windräder in Frage kommen – ganz egal, ob dadurch ein Naturschutzgebiet aufgegeben werden muss. Für die Energiewende müssen auch Opfer gebracht werden … Die Dorfbewohner sind entsetzt, als sie von den Plänen erfahren. Doch dann stellt sich ziemlich schnell die Frage: Wer könnte von der Windenergie profitieren? Diese Frage ruft die beiden Platzhirsche des Dorfes auf den Plan, die einander in jahrzehntelanger Fehde zugetan sind – welches düstere Geheimnis verbindet sie?
Die Bewohner von Unterleuten – allesamt tragische Figuren – sind mir nicht oder wenig sympathisch, dafür aber seltsam vertraut. In jedem Kapitel wechselt die Perspektive und ein anderer Dorfbewohner gewährt Einblicke in sein Oberstübchen: Gerhard Fließ, Naturschützer und seine junge Ökofrau, deren Nerven schon zu Beginn blank liegen. Gombrowski, der Großgrundbesitzer, dessen Ära zu Ende geht, und sein Gegenspieler, Kron, der seine Stunde gekommen sieht, alte Rechnungen zu begleichen. Ein netter, aber recht hilfloser Gemeindevorstand, dazu ein durchtriebener Geschäftsmann, blasierte Städter, depressive Ehefrauen, eine unzufriedene Meute, allesamt die Vom-Leben-zu-kurz-gekommenen. Nicht zu vergessen die Pferdenärrin Linda Franzen, deren Wille durch Wände zu gehen vermag.
Apropos „Wille“: „Alles ist Wille.“ Diesen Satz stellt Juli Zeh als Zitat eines sogenannten Manfred Gorz ihrer Geschichte voran. Manfred Gorz wird als Motivationstrainer und Mentalcoach noch des Öfteren zitiert. Bitte, unbedingt googeln: Manfred Gorz oder andere Namen und Schauplätze aus Unterleuten: den „Märkischen Landmann“ oder die Seite des „Vogelschutzvereins Unterleuten“ beispielsweise, auf dem sogar ein Foto von Gerhard Fließ zu sehen ist. Und ich dachte, alles wäre rein erfunden? … Darauf angesprochen antwortete Juli Zeh mit dem Hinweis, es stehe doch im Netz, also müsse es doch wahr sein. Stimmt, oder etwa nicht? Ihre schöpferische Leistung geht offenbar weit über die 640 Seiten ihres Buches hinaus. Chapeau!
Juli Zeh: Unterleuten, Luchterhand Literaturverlag, 640 Seiten, 8. März 2016.
Unterleuten – Das zerrissene Dorf. ZDF
Die Sueddeutsche Zeitung im Gespräch mit Regisseur Matti Geschonnek