Es ist Fastenzeit (und Coronazeit – aber das sei hier mal ausnahmsweise nicht das Thema). Und da dachte ich: Kühn hat Hunger ist jetzt die passende Lektüre! Das Problem: Fasten fällt mir sehr schwer. Ich schaffe es noch nicht einmal, zwei Tage auf Schokolade zu verzichten (#kalorienhamstern)! Gestern habe ich eine ganze Packung Schokoküsse gekillt (die großen!!!). Ich weiß, wie schwer es ist, sich alles, was lecker ist, zu versagen. Im Gegensatz zu mir ist Martin Kühn allerdings sehr diszipliniert. Ein Beispiel:
Der Pathologe geht in Ruhestand. Zum Abschied gibt es Schokoladenkuchen in Form einer Tatortmarkierung, die man mit Kreide um ein Opfer zieht, das am Boden liegt (…wär das was für den nächsten Kindergeburtstag?).
Kühn fand das sehr originell und nahm sich einen Pappteller, den er sofort wieder zurücklegte, als ihm einfiel, dass man Kuchen essen kann.
Ganz mein Humor! Wer Jan Weilers Geschichten um Kriminalhauptkommissar Martin Kühn kennt, weiß natürlich, dass es hier nicht in erster Linie um Humor geht, aber Sprachwitz ist und bleibt eben Jan Weilers Markenzeichen. Diesen lebt er in Kühn hat Hunger vor allem im Diätratgeber für Männer aus, den Martin Kühn sich gekauft hat, um endlich ein paar Pfunde abzuspecken. In diesem fiktiven „Ratgeber“ werden ungeniert frauenfeindliche Parolen und markige Männersprüche verbreitet. Beispiel: Erfolg ist männlich, sonst würde es ja Sie-Folg heißen. Oder dass die Unterwerfung des Hunger-Monsters ähnlich befriedigend sei wie die Unterwerfung einer widerspenstigen Frau.
Aber das alles ist nur die Garnierung und spitzt das Thema, um das es geht, noch einmal zu: Die Männer fühlen sich von den Frauen bedroht und schlagen zurück – wortwörtlich. Denn dieses Mal muss Martin Kühn den brutalen Mord an einer jungen Frau aufklären. Sie wurde das Opfer von zwei Männern, die die Kontrolle verloren haben: über sich und über ihr Leben. Die nicht wissen, wohin mit ihrem Frust und ihn auf die Frauen projezieren. Und dann bricht sich ihr Hass Bahn, als sich die Gelegenheit bietet. Es trifft eine junge Frau, die dem Falschen vertraut hat. Gut, sie war in zweifelhaftem Milieu unterwegs, aber ist sie deshalb leichte Beute?
Neben dem aktuellen Fall gibt es dann auch noch die Sache mit der Weberhöhe, die sich durch alle Kühn-Fälle zieht. Die Neubausiedlung, in der Kühn wohnt, hat ein Problem mit giftigen Altlasten in den Kellerräumen. Die Baufirma sieht sich hier nicht in der Pflicht – und verkaufen können die Bewohner ihre Häuser nicht, denn was sind sie denn noch wert? Und so hat Kühn einen Haufen Schulden am Hals, einen Keller, der verseucht ist und eine Familie, in der man sich langsam aber sicher auseinanderlebt. Kühn ist Mitte Vierzig, verheiratet, zwei Kinder. Der Durchschnittstyp. Seine Ehe läuft auf Sparflamme, was auch seinem One-Night-Stand mit einer Kollegin zu verdanken ist. Das Geld ist immer knapp. Große Sprünge kann Familie Kühn sich nicht erlauben. Da käme die Beförderung, die Kühn in Aussicht gestellt wird, gerade recht … aber da gibt es auch noch Kollege Steierer, der Kühn nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnt.
Trotz all dieser Probleme ist Martin Kühn einer von den Guten. Er ist nicht unfehlbar, er zweifelt, aber er gibt nicht auf. Er stellt sich gegen die Scheiße, die seine Welt bedroht – ob das die Kriminellen sind, mit denen er zu tun hat, oder die Faschos der Bürgerwehr oder das Alter, das ihm zusetzt – und dieses Mal kommt noch der Hunger dazu. Sein stets niedriger Blutzuckerspiegel lässt sein Nervenkostüm zu einem fragilen Gewebe werden. Aber es kommt für ihn auch mehr als dicke!
Mein Fazit:
Jan Weiler besitzt einen guten Blick für gesellschaftliche Schieflagen. Er ist ein großartiger Erzähler. Er kann Satire genauso wie Drama. Das hat er – meines Erachtens – mit Martin Kühn hat Hunger wieder einmal bewiesen.
In freiwiller Coronaisolation hat man jetzt viel Zeit zum Lesen, oder? Ich empfehle das hamstern von Büchern (#bücherhamstern)!
Jan Weiler: Kühn hat Hunger, erschienen bei Piper, 416 Seiten.
Interview mit Jan Weiler im Deutschlandfunk