Mit Nick Hornby gegen die Krise

Ein Video wurde per Whatsapp geteilt – machen wir gerade ständig, oder? Uns kleine lustige Clips zu senden, um unter der Knechtschaft des Virus nicht ganz den Humor zu verlieren. Der Clip dauert wenige Sekunden, die Atmosphäre ist ernst und leicht angespannt. Eine Frau steht kurz vor der Quarantäne. Sie hat nun die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Variante A: Sie verbringt diese Zeit mit ihrem Mann oder B – aber hier unterbricht die Frau bereits. Sie nimmt B. Offenbar völlig egal, was die Alternative ist – alles ist besser, als mit Ausgangssperre und dem Partner lange Zeit auf engem Raum zusammenzuhocken.

Aber genau das ist die Situation. Viele Paare gehen sich derzeit rund um die Uhr auf den Zeiger, versuchen neben ihrem Homeoffice, Videokonferenzen und Telkos, nebenher ihre Kinder zu bespaßen, scheitern an ihren quasi nicht vorhandenen Kenntnissen von Mathe und Physik, die nicht ausreichen, um dem Nachwuchs beim Homeschooling zu helfen (bei mir zumindest, ich bin eine MINT-Niete…)  – und sind doch selbst das beste Beispiel für komplexe Zusammenhänge der mathematischen Physik wie die der Chaostheorie. Ein Virus ist kein Schmetterling, dessen Flügelschlag tausende Kilometer entfernt eine Katastrophe auslösen kann. Nein. Der Virus arbeitet viel effizienter.

Und darum halten wir uns dran: Meiden Kontakte nach außen, bleiben allein, zu zweit oder zu zweit allein. Was wohl die Langzeitfolgen des Virus für unsere Beziehungen sein werden?

Vielleicht geht es danach zur Paartherapie. Oder ich greife erst einmal zu Nick Hornbys Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst:

Louise hat Tom betrogen. Nun gehen die beiden zu einer Gesprächstherapeutin. Zehn Sitzungen erwarten sie. Zehn Kapitel sind es im Buch. Wir als Leser erfahren nicht, worüber in diesen Sitzungen gesprochen wird. Das Setting für jedes Kapitel ist immer gleich: Louise und Tom treffen sich im Pub. Die Zeit ist knapp bemessen. Louise bestellt Weißwein, Tom Bier. Vom Pub aus können sie schon das Haus sehen, wo die Therapeutin ihre Praxis hat. Eigentlich treffen sie sich, um sich auf das Gespräch vorzubereiten – „Worüber wollen wir heute reden?“ Aber oft beschäftigen sie andere Dinge, z.B. das Paar, das gegenüber aus dem Haus tritt. Sie streiten. Oder einer weint. Manchmal sehen sie auch glücklich aus. Das fremde Paar betritt den Pub. Louise und Tom lauschen, ob sie etwas von diesem Paar erfahren können. Sie sind offenbar nicht die einzigen mit Problemen. Worin bestand doch gleich ihr Problem. Ach ja. Louise hatte eine Affäre. Nur Sex. Keine Liebe. Tom ist gekränkt. In ihrer Ehe sind sie so zerstritten wie etwa in der BREXIT-Frage. Doch sie blicken auch auf 15 Jahre Ehe zurück. Sie waren mal verliebt. Sie haben Kinder. – – Aber reicht das, um als Paar auch noch eine Zukunft zu haben?

Er schüttelt den Kopf. „Das Problem ist: Die Ehe ist wie ein Computer. Man kann sie auseinandernehmen, um nachzuschauen, was drinsteckt, aber dann hat man hinterher hunderttausend Einzelteile in der Hand.“ Louise seufzt verzweifelt und zustimmend, doch dann rafft sie sich auf. „Wie klingt das“, sagt sie. „Wir stecken die größeren Teile wieder rein, schmeißen die kleinen weg, schrauben die Kiste zu und machen einfach weiter?“

Der britische Autor Nick Hornby ist ein großartiger Erzähler und Beobachter. High Fidelity und About a boy fand ich großartig und genial. Die Idee zu Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst ist ebenso genial, aber für mein Empfinden reicht es an frühere Werke nicht heran. So witzig, so skurril, so prägnant finde ich die Dialoge zwischen Louise und Tom nicht (den zitierten ausgenommen und noch ein paar andere…). Der schmale Romanband wirkt auf mich wie eine Sitcom, in der nur noch die Hintergrundlacher eingespielt werden müssen. „Gedrucktes TV“ – nennt es Burkhard Müller in der Süddeutschen (Link unten). Nick Hornby hat diesen Text wohl tatsächlich fürs Fernsehen geschrieben – was ich jetzt nicht problematisch finde, denn ich mag gute Dialoge, aber leider waren mir Louise und Tom auch nach 160 Seiten nicht ans Herz gewachsen. Ob sie sich trennen oder zusammenbleiben – egal …

Und nun?

Sprachlich top, inhaltlich etwas dünn, lautet mein Fazit. Eine Abwechslung in der Corona-Ausgangssperre ist der Roman aber in jedem Fall. Und für Nick Hornby Fans ein Must-have.

Das, was er ausspart, kann man in Daniel Glattauers „Die Wunderübung. Eine Komödie“ nachlesen. Die Verfilmung dazu gab es 2018 mit Devid Striesow und Aglaia Szyszkowitz als streitendes Ehepaar. Hier gibt es ausschließlich die Sitzungen mit dem Therapeuten. Ein Drei-Personen-Stück. Sehr lustig, sehr böse, sehr wahr.

Nick Hornby, Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst, Kiepenheuer und Witsch, 160 Seiten, März 2020.

Sueddeutsche: Gedrucktes TV

NDR Kultur über das Buch

Trailer zum Film: Die Wunderübung.

Der Deutschlandfunk zur „Wunderübung“ von Daniel Glattauer.

Daniel Glattauer: Die Wunderübung, Random House, 2016.

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