Sommer bei Nacht

Ich sage es gleich: Jan Costin Wagner kann schreiben, was er will. Ich bin ein großer Fan. Zu Recht wird er auch der Poet unter den Krimiautoren genannt. Seine Sprache ist – ja wie? – magisch. So auf den Punkt. Und gleichzeitig schwingen zig Nuancen darin mit, ohne dass es gewollt oder kitschig oder klischeehaft wird. Und noch viel wichtiger: Trotz der fabelhaften Sprache wirkt es nicht künstlich, nicht konstruiert oder bemüht – wie vom Schreibschulenreißbrett.

Landmanns Haus liegt unter der Abendsonne, von goldenem Licht umspielt. Ben spürt ein Stechen im Magen, während er aussteigt und auf das Haus zugeht, der Kies knirscht unter seinen Schritten. Im Hintergrund, am Ende des weiten Gartens, liegt wie ein Trugbild der See, wie ein dunkelblauer Teppich, der gerade erst ausgebreitet worden ist. Nur für ihn, aus diesem einen Grund. Damit er ihn sehen kann, den dunkelblauen See. Den dunkelblauen Teppich. Rennen, zum Steg, abheben, springen, eintauchen. Unter Wasser verweilen.

Der finnische Kommissar Kimmo Joenta hat Jan Costin Wagner international bekannt gemacht. Es klingt kurios, ist aber wahr: Jan Costin Wagner, aufgewachsen im hessischen Langen, verheiratet mit einer Finnin, schreibt Krimis, die in Finnland spielen, aber international funktionieren und überall gelesen werden. Kimmo lebt mit seiner Tochter übrigens an einem See. Darum erinnerte mich die zitierte die Passage an die sechs Vorgänger Bände der Kimmo-Joenta-Reihe (einige davon habe ich hier auch beschrieben an anderer Stelle).

Sommer bei Nacht spielt in Wiesbaden und legt den Grundstein einer neuen Reihe. Hier ermitteln Ben Neven, Christian Sandner und im Hintergrund noch Landmann, der kluge Kommissar im Ruhestand, der gern um Rat gefragt wird. Der Fokus liegt also nicht mehr auf einem zentralen Ermittler. Außerdem bringt jeder von ihnen auch seine eigenen düsteren Seiten mit, die sehr fein in die Geschichte eingesponnen werden. So hat Ben Neven pädophile Neigungen, die er zu unterdrücken versucht, Christian Sander kommt über den Tod einer Freundin nicht hinweg und Landmann erschüttert der Suizid seiner Tochter. Erschütternd ist aber vor allem, wie sich der Faden der Geschichte entspinnt. Geradezu teuflisch: Ein Mann kreuzt mit zwei riesigen Teddybären auf  einem Schulfest auf. Er bittet einen Jungen, den Teddy zu halten. Im nächsten Moment sind der Mann, der Junge und der Teddy verschwunden. Niemand kann sich an das Gesicht des Fremden erinnern. Dafür können alle den Teddy gut beschreiben.

Da lief es mir schon einmal kalt den Rücken hinunter. Aber Vorsicht: Jan Costin Wagner ist ein Meister der feinen, leisen Töne. Hier kommt kein blutiger Paukenschlag a la Fitzek und Konsorten. Ein Drama entfaltet sich, legt sich über eine Stadt und über einzelne Personen wie die klebrige Hitze eines sehr sehr heißen Sommers.

Mehr möchte ich nicht verraten.

Schatten spielen an den Wänden. Ein Spiel, das er nicht versteht, und das gefällt ihm. Es ist gut, dass er das Spiel nicht versteht, es ist gut zu wissen, dass Landmann das Spiel gewinnen würde. Würde er spielen, aber Landmann spielt nicht, löst keine Rätsel, ist kein Ermittler. Nicht mehr.

Ermittlungsarbeit ist wie ein Rätsel zu lösen. Der Fall ist ein Rätsel. Geben nicht fast alle Menschen einander Rätsel auf? Nicht alle davon werden gelüftet. Manches bleibt verborgen, ungeklärt und rätselhaft. Und wir müssen das aushalten, weil es nicht auf alle Fragen Antworten gibt.

Fazit: Wer in eine neue Krimireihe einsteigen möchte, die darüber hinaus auch noch klug ist, der ist hier genau richtig.

Jan Costin Wagner: Sommer bei Nacht, Galiani Berlin, 320 Seiten, Februar 2020.

Rezension in der FAZ von Peter Körte.

Jan Costin Wagner im Interview in der Hessenschau.

Rezension in der Frankfurter Rundschau von Sylvia Staude.

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