Es ist lange her, dass ich Band 1 der Reihe um Wunderkind Artemis Fowl und Draufgänger-Elfe Holly Short gelesen habe. Wie Ihr auf dem Foto sehen könnt, war ich so begeistert von Eoin Colfers Geschichten um die geheime Welt unter unserer Welt, dass ich alle Bände sofort nach ihrem Erscheinen gekauft habe. Dabei fand ich den ersten Band den schwächsten – die Geschichte hat sich aber stetig gesteigert. Warum es so lange gedauert hat, dass der Stoff verfilmt wurde? – – Keine Ahnung! Leider hat mich der Film wirklich (wirklich sehr!) enttäuscht, obwohl der wunderbare Kenneth Branagh Regie geführt hat und die Besetzung mit Colin Farrell als Artemis Vater, Judi Dench als Commander Root und Josh Gad als Riesenzwerg Mulch Diggums wunderbar ausgesucht wurde.
Wie konnte Disney es nur so verbocken? Der Versuch einer Erklärung …
Vier Drehbuchautoren waren am Werk. Das alte Sprichwort hat recht: Zu viele Köche verderben den Brei! Die Vorlage wurde ziemlich mißhandelt. Hier kommt gar nichts mehr zusammen, was vom ursprünglichen Text zusammengehört. Es ist, als hätte man den Stoff einmal in alle Einzelteile zerlegt und neu zusammengesetz. Und leider hat man auch immer viel zu viel vom Ende her gedacht. So haben die Charaktere gar keine Möglichkeit, sich zu entwickeln.
Show – don`t tell! Diese Regel gilt fürs Schreiben: Handlung und Dialoge treiben eine Geschichte voran. Und das gilt auch für Filme. Der erste Film der Artemis Fowl Saga bietet statt echter Handlung und einem spannenden Anfang eine endlos lange und ermüdende Erzählstimme. Im Buch wird nicht viel im Vorfeld erklärt, sondern man ist sofort in der Handlung. Nicht die Menschenwelt steht am Anfang. Alles beginnt mit einem Einsatz der Elfe Holly Short, der schiefläuft. Durch diese Szene lernt man erst einmal Holly und ihre Welt kennen. Das, was mich daran sofort begeistert hat: Die Wesen unter der Erde sind technisch viel weiter entwickelt als die, die oberirdisch leben. Die für uns Menschen verborgene Spezies ist hoch intelligent und agiert quasi vor unseren Augen, ohne dass wir es merken (okay… das ist ein bißchen wie die Harry-Potter-Welt, aber mit viel mehr „Hightech“).
Disneys Zuckerguss. Eoin Colfers Figuren hat man kieselrund glatt geschliffen. Dabei sind es gerade die Ecken und Kanten der Protagonisten, die seine Geschichte so besonders machen. Artemis wird zunächst als hinterlistiges Supergenie dargestellt – ohne Skrupel. Er ist der Antiheld: Ein kriminelles Wunderkind, unsympathisch, blass und anderen 12-Jährigen weit voraus. Gerade in dieser Figur steckt eine Menge Entwicklungspotential. Sein Vater spielt im ersten Band noch keine große Rolle. Er ist verschwunden und wird für tot erklärt. Artemis ist jetzt das Familienoberhaupt und tritt in die Fußstapfen seines kriminellen Vaters. (Im Film wird da ja sofort eine zweite Ebene druntergelegt: Der Vater, der im Verborgenen für das Gute kämpft, aber in der Welt als Ganove verunglimpft wird. – – Echt jetzt???!)
Und dann auch noch diese überhöhte Vater-Sohn-Irische-Segen-Nummer, die der Film über die Handlung legt! Die gibt es im Buch nicht. Dort ist Artemis verwöhnt, vernachlässigt, auf sich gestellt. Nur sein Butler ist ihm treu ergeben. Die beiden sind schon ein kurioses Team: brain and body! Die Filmfigur Artemis ist viel zu smart, zu nett, zu „normal“, zu lieb, zu sportlich, auf keinen Fall ist er kriminell. Wo ist der Artemis geblieben, der es einem erst schwer macht, ihn gern zu haben und sich dann doch als der erweist, der das Herz am rechten Fleck trägt? – –
Auch Foaly, der Zentaur hat nicht mehr viel zu sagen oder zu meckern. Die Dialoge waren wenigsten lustig und besaßen Pfeffer. (…) Ich könnte so weitermachen, aber es reicht. Einen zweiten Teil soll es wohl noch geben. Ich hoffe nur, dass die Drehbuchautoren sich darauf einigen können, was sie im Kern erzählen wollen: Dispannende, doppelbödige Annäherung zwischen Erdvolk und Menschenvolk durch Holly und Artemis. Oder eine schwache Vater-Sohn-Ich-rette-die-Welt-Heldengeschichte?
Filmkritik von Hannes Könitzer: Wie man eine Buchverfilmung gegen die Wand fährt
https://www.sueddeutsche.de/kultur/artemis-fowl-disney-plus-1.5000695