Schon wieder ein erstes Mal! Nach:
Mein erstes Mal mit Stephen King, mein erster T. C. Boyle, mein erster Fitzek! Und nun mein erster Roman von Charlotte Link – die ich gedanklich in einem ganz anderen Genre verortet hatte, eher Schmonzette als Psychokrimi. Soviel zum Schubladendenken! Hier nun also ihr neustes Werk: Ohne Schuld. Ein ziemlicher Wälzer. Auch für die Ohren, denn ich beziehe ich mich hier auf die Hörfassung.
Auf der Verlagsseite von Random House erfährt man zuallererst: „Charlotte Link, geboren in Frankfurt/Main, ist die erfolgreichste deutsche Autorin der Gegenwart.“ Beim Lesen war ich mir da gar nicht so sicher – nicht ob Charlotte Link tatsächlich die erfolgreichste deutsche Autorin ist (das belegen die Millionen verkaufter Bücher), nein, ob sie wirklich aus Hessen stammt (so wie ich übrigens…). In Gedanken habe ich ihren Namen englisch ausgesprochen und war mir fast sicher, dass ich hier etwas verwechselt habe und Charlotte Link Britin sein muss. Ihre Schilderungen, ihr Ton, ihre Charaktere und Landschaften sind so glaubhaft anglophil, dass ich noch einmal googeln musste, was nun stimmt. Charlotte Link lebt mittlerweile in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. Sie besitzt einen ausgeprägten Hang zu England und Frankreich, erklärt sie selbst in einem Interview. Das erklärt, warum ihre Romane oft dort verortet sind. Dabei sucht sie sich immer wieder neue Orte aus, an denen ihre Geschichten spielen und besucht diese mindestens zweimal. Am Anfang und dann während eines neuen Projekts. Sie sieht sich die wichtigsten Schauplätze an und macht Fotos davon, auch wenn es sich vielleicht nur um eine Bushaltestelle handelt. Mit Akribie geht sie bei der Entwicklung ihrer Geschichten vor. Das merkt man nicht nur in der Wahl des Settings. Sie gräbt sich auch in die Biographien ihrer Figuren ein. Am Anfang, also auf den ersten 200 Seiten des 544 Seiten fassenden Werkes oder in den ersten 3-4 Stunden des Hörspiels, gab es sehr viele Sprünge und unterschiedliche Figuren, die nebeneinanderher liefen. Für mich war kein roter Faden erkennbar. Dass ich dennoch dabeigebieben bin, ist der Stimme von Claudia Michelsen zu verdanken. Ihr konnte ich mich nicht entziehen. Unaufgeregt und in einer sehr natürlichen Tonlage liest sie Seite für Seite. Also blieb ich dabei. Außerdem habe ich fest daran geglaubt (oder gehofft), dass der Faden ausgelegt ist und die Schlinge sich schon irgendwann zuzieht … und so war es. Mit einem Mal kam Tempo in die Geschichte und die Fäden griffen ineinander.
Zum Inhalt
Bei einem Krimi kann man – sollte man – wirklich nicht zu viele Details im Vorfeld verraten. Ich hatte sogar den Klappentext nur oberflächlich überflogen und gar nicht mitbekommen, dass es sich um eine Reihe handelt, die sich um die Ermittlerin Kate Linville handelt. Aber so ist: Ohne Schuld ist die dritte Geschichte um die spröde Einzelgängerin Kate Linville nach Die Betrogene (1) und Die Suche (2). Man muss die Vorgänger nicht kennen – ich bin das beste Beispiel dafür, dass es auch ohne diese Vorkenntnisse funktioniert.
Was lässt sich zum Inhalt sagen, ohne bereits zu viel preiszugeben?
In einer Rückschau erfahren wir von einer Entführung. Jemand hält ein Kind in einer Garage gefangen. Ein Mädchen oder eine junge Frau informiert die Polizei und gibt den entscheidenden Hinweis, damit das Mädchen befreit wird. Die Identität der Personen, auch die der Anruferin, wird nicht gelüftet. Die Erzählung springt zurück in die Gegenwart. Kate Linville, neu bei der North Yorkshire Police, gerät in einem Zug in einen Schusswechsel, als sie eine Frau – Xenia – vor einem kaltblütigen Killer rettet. Kurze Zeit später wird an einem anderen Ort ein Anschlag auf eine andere Frau – Sophia – verübt. Sie stürzt mit ihrem Fahrrad über einen dünnen Draht, außerdem wird auch auf sie geschossen. Schon sehr bald ist der Polizei klar, dass dieser Anschlag und die Tat im Zug in Zusammenhang stehen müssen – schließlich ist die Schusswaffe identisch. Doch es gibt keine Verbindung zwischen den beiden Frauen. Die Polizei stochert lange Zeit im Trüben …
Ohne Schuld braucht Zeit, um Wirkung zu entfalten. Ein großer Reigen an Akteuren tritt auf. Da gibt es die Personen im Umfeld von Kate Linville und der Polizei. Es gibt die beiden Frauen, Xenia und Sophia, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Beide haben ihre Geschichte, die sich wie ein Puzzle aus vielen einzelnen Steinen langsam zu einem Bild zusammensetzt. Und da ist der oder die Täter, denen man als Leserin oder Zuhörerin immer näher kommt. Am Ende, so viel kann ich verraten, gibt es ein Finale, das einem Thriller würdig ist.
Mein Fazit: Mein erster Charlotte Link Roman war keine verschwendete Zeit.
https://www.randomhouse.de/Buch/Ohne-Schuld/Charlotte-Link/Blanvalet/e574038.rhd