Vor 70 Jahren erschien The Catcher in the Rye von Jerome David Salinger. Der Roman hat 1951 eingeschlagen wie eine Bombe. Es ist der einzige Roman von Salinger, der wenig und darüber hinaus nur Kurzgeschichten geschrieben hat. Die Verkaufzahlen des Buches liegen im oberen zweistelligen Millionenbereich. Was hat Holden Caulfield, der Fänger im Roggen, was andere nicht haben?
Der 16-jährige Holden Caulfied ist ein Schulabbrecher. Alles, was er erzählt und wie er es erzählt, klingt nach Scheitern und Krise und der Suche nach seinem Platz in der Welt. Holden raucht und flucht. Die Worte scheinen „ungefiltert“ aus ihm herauszudrängen. Ich nehm es ihm ab. Noch heute, wenn ich nur die ersten Seiten anlese, höre ich Holden, nicht Salinger, der zu mir spricht.
„Wenn ihr das wirklich hören wollt, dann wollt ihr wahrscheinlich als Erstes wissen, wo ich geboren bin und wie meine miese Kindheit war und was meine Eltern getan haben und so, bevor sie mich kriegten, und den ganzen Copperfield-Mist …“
Der Text ist nicht „aalglatt“; es gibt Worte, die tauchen immer wieder auf, Lieblingsworte wie „piefig“ oder „verdammt“; es ist „schweinekalt“ und er „fror sich den Arsch ab“ – der Stil folgt der wörtlichen Rede: So wie Salinger schreibt, spricht Holden zu uns und erzählt uns, was um Weihnachten herum, nachdem er die Schule geschmissen hat, passiert ist.
In ihm steckt ein Rebell, ein Andersdenkender, einer, der nicht ins Schema passt. Natürlich passt Holden auch nicht in das gängige Schulsystem: Seine Schule z. B. warb auf Anzeigen stets mit Reitern auf Pferden beim Polospiel, dabei habe er, schreibt Holden, in seiner Zeit dort nie ein Pferd zu Gesicht bekommen. Die Schule habe sich auf die Fahnen geschreiben, die Schüler zu „tüchtigen, klar denkenden Männern“ zu erziehen. Doch „an der Pencey formen sie verdammt nicht anders als an jeder anderen Schule“, resümiert Holden. – Dass auf dem Cover der Originalausgabe ein wildgewordenes Karussellpferd zu sehen war, passt wunderbar zu Holden, der aus der Reihe tanzt (Warum man nicht bei diesem Covermotiv geblieben ist, verstehe ich übrigens nicht – die Neuauflagen sind absolut nichtssagend …). Dabei fehlt der Lektüre jeglicher pädagogischer Impetus – zum Glück! Holden möchte nicht lehren oder belehren. Manche Sätze und Passagen mäandern vor sich hin: Holden ist ein Suchender ohne Ziel.
Ob der Fänger im Roggen zu Recht noch heute als Schullektüre gilt, darüber kann ich mir kein Urteil erlauben. Ich verstehe den Text mittlerweile anders als im Alter von 16 Jahren. Damals fand ich das Buch über weite Strecken langweilig. Auch die Anspielung, was es mit dem Fänger im Roggen auf sich hat, blieb mir verborgen (Holdens Traumbild von tobenden Kindern, die im Roggenfeld nahe eines Abgrundes spielen und Holden ist der, der aufpasst, dass niemand in den Abgrund stürzt … möchte er sie davor bewahren, die Unschuld der Kindheit zu verlieren, wie einige Rezensenten schreiben? Möchte er sie vor den Erfahrungen schützen, die er machen musste?).
Meine 16-jährige Tochter liest sich gerade durch die Werke von John Green. Wenn wir heute so großartige Autoren wie John Green haben, brauchen wir dann überhaupt noch Salingers „Fänger im Roggen“?
Vielleicht hatte das Buch seine Zeit. Mag sein. Ich finde aber, dass die Geschichte gut gealtert ist. Außerdem liegt sie mittlerweile in einer richtig guten Übersetzung vor, die dem Text gerechter wird als die Übersetzung, die ich als Schülerin gelesen habe.
Danke ans Feuilleton, dass es anläßlich des 70jährigen Buchjubiläums so viele Artikel zum Fänger gab.
Klassiker, die ich als Teenager sehr gemocht habe, sind übrigens Wer die Nachtigall stört von Harper Lee und Herr der Fliegen von William Golding. Auch das sind meiner Meinung nach Bücher, die nicht „schlecht werden, je länger sie liegen“.
Habt Ihr Klassiker, die Ihr heute noch einmal lesen möchtet?