Tessa Mittelstaedt kenne ich nur aus ihrer Rolle als Franziska Lüttgenjohann im Kölner Tatort – und ich erinnere mich natürlich an ihren fulminanten Abgang, als sie als Bewährungshelferin mit einem Gefängnisinsassen verhandelt, dann selbst zur Geisel wurde und am Ende ihr Leben verlor. So etwas bleibt in Erinnerung. Ich glaube, Tessa Mittelstaedt ist in vielen anderen TV-Produktionen zu sehen, aber hören kann man sie auch , das weiß ich, und ich mag ihre Stimme sehr. Tessa Mittelstaedt hat nun einen weiteren Charlotte Link Roman neu eingesprochen.
Das Ende des Schweigens. Der Roman stammt aus dem Jahr 2003. 634 Seiten im Taschenbuch. Kriminalroman steht auf dem Cover.
Ist es ein Krimi? Ich weiß es nicht. Es ist eine sehr breit angelegte Geschichte, in der ungefähr in der Mitte ein paar Menschen gemeuchelt werden. Der Plot beginnt in einem englischen Landhaus, Stanbury House in Yorkshire, in dem drei Paare und deren Kinder die Osterferien verbringen. Die Verhältnisse sind nicht ganz einfach. Das eine Paar, Jessica und Alexander, ist frisch verheiratet. Jessica ist schwanger. Sie ist die zweite Ehefrau von Alexander, der aus seiner ersten Ehe eine Tochter, Ricarda, hat. Ricarda ist 15, kann ihre Stiefmutter nicht leiden und „hasst“ offenbar auch die Freunde ihres Vaters, mit denen dieser seit vielen Jahren seine Ferien verbringt. Leon und Patricia, das zweite Paar, sind insolvent und stehen finanziell am Abgrund, wollen das aber nicht öffentlich eingestehen. Vor allem Patricia scheint den Ton vor Ort anzugeben – ihr gehört Stanbury House. Bleiben noch Tom und Evelin. Tom ist Psychiater und Evelin hat große psychische Probleme. Die drei befreundeten Paare verstehen sich oberflächlich gut, aber unter der Oberfläche brodelt es. Als die 15-jährige Ricarda ein Verhältnis mit einem jungen Mann aus dem Dorf beginnt und dann auch noch ein angeblicher Stiefonkel von Patricia auftaucht, der Anspruch auf sein Erbe erhebt, liegen die Nerven blank.
Jessica, die das erste Mal gemeinsam mit Alexanders Freunden Urlaub macht, versucht den Spannungen zu entgehen und flüchtet sich in ausgedehnte Spaziergänge. Als sie nach einem dieser Ausflüge zurückkommt, findet sie ihren Mann, Patricia und deren Kinder sowie Tom tot auf. Erst verdächtigt die Polizei Philipp, dann Evelin. Und die kriminalerfahrene Leserin denkt: Aha, jetzt wird ermittelt! Aber nein, die Überlebenden reisen nach Deutschland zurück. Die Klärung der Morde rückt in weite Ferne. Jessica und Leon stehen plötzlich im Fokus der Handlung, deren Trauer und Alltag. Ebenso bleibt die Story an Philipp und seiner Freundin Geraldine dran, die nur deshalb noch zusammen sind, weil sie sich gegenseitig ein Alibi für den Zeitpunkt der Stanbury-Morde gegeben haben. Hat Philipp die Morde begangen oder Leon oder eine dritte Person, die bisher noch nicht aufgetreten ist? Seltsamerweise ist die Haupttatverdächtige, Evelin, von der Bildfläche verschwunden. Sie sitzt in Untersuchungshaft. Alles ziemlich verworren …
Grundsätzlich finde ich es gut, auch mal wieder 20 Jahre alte Bücher zur Hand zu nehmen. Charlotte Links Roman ist eine Geschichte aus einer anderen Zeit: Keine Handys. Keine Klimakrise. Kein Virus. Kein reißerischer Spannungsthriller wie Fitzek. Kein Klamauk wie Rita Falk. Man bekommt, was auf dem Cover steht: Einen typischen Charlotte Link Roman. Viele Seiten. Viele Charaktere. Eine lange Anlaufstrecke, bis die Geschichte Fahrt aufnimmt. Und natürlich spielt der Roman in England und an Orten, denen Charlotte Link sehr verbunden ist. Der Erzählstil und Aufbau der Geschichte sind für meinen Geschmack leider etwas zu ausufernd geraten, außerdem langatmig, detailreich, ohne rechten Spannungsbogen. Sprachlich gut erzählt, keine Frage, aber eigentlich ein Roman, den ich nach spätestens 200 Seiten aus der Hand gelegt hätte, vermutlich schon früher.
Über 20 Stunden dauert das Hörbuch. Und hier habe ich nicht schlapp gemacht, weil Tessa Mittelstaedt den vielen verschiedenen Charakteren Leben eingehaucht hat (und ich gerade mehr Zeit habe für Hörbücher als für Lesebücher…). Im letzten Jahr habe ich den von ihr neu eingesprochenen „Der Verehrer“ von Charlotte Link gehört. Den Krimi fand ich sehr gut – und auch sehr spannend. Bei diesem Werk hier bin ich mir nicht sicher. Spannung ging gegen null. Eine Menge Protagonisten, die meisten von ihnen wenig sympathisch. Und das ist, glaube ich, mein Hauptkritikpunkt: Jessica ist vielleicht noch jemand, die zu einer guten Protagonistin taugt, aber ihr zur Seite stehen einfach zu viele andere Personen, die allesamt unsympathisch sind.
Dieser Roman ist entweder nicht gut gealtert oder er hat bereits 2003 viele schlechte Kritiken bekommen hat, weil der Spannungsbogen fehlt. Ich weiß es nicht. Mich hat dieser Roman auf jeden Fall nicht gepackt. Leider keine Leseempfehlung – vielleicht gerade noch so eine Hörempfehlung. Ich empfehle aktuelle Romane von Ruth Ware oder Julie Clark, denn bei diesen Krimiautorinnen läuft es gerade richtig gut.