Die Diplomatin

Dieser Roman hat nichts mit der Fernsehserie „Die Diplomatin“ zu tun. Trotzdem haben Buch und TV-Serie manches gemeinsam. Warum ich das als erstes feststelle? Vielleicht weil ich mir selbst am Anfang nicht sicher war, ob Lucy Fricke nicht auch für die Drehbücher der Serie „Die Diplomatin“ verantwortlich ist. Beide Protagonisten sind Frauen (ja, das sagt ja bereits die weibliche Form Diplomatin, aber dennoch scheinen Frauen noch unterrepräsentiert in diesem Job und daher ist es dann doch erwähnenswert), beide sind ledig, an verschiedensten Orten der Welt als Botschafterin im Einsatz, beide müssen diplomatische Krisen meistern, führen schwere Gespräche und treffen mitunter Gewissensentscheidungen. Doch Lucy Frickes „Diplomatin“ dient nicht der leichten Samstagabendunterhaltung. Lucy Fricke hat einen klugen Roman um echte diplomatische Verstrickungen geschrieben, dem Fachleute attestieren, „er sei sehr authentisch und sehr gut recherchiert“.

Zum Inhalt

Friederike (Fred/Freda) Andermann ist Beamtin im diplomatischen Dienst. Als Frau hat sie sich hochgearbeitet, bekleidet in recht „jungen“ Jahren (mit Anfang 40) bereits das hohe Amt der deutschen Botschafterin in Uruguay und lebt in der Hauptstadt Montevideo. Als dort eine deutsche Geisel genommen und getötet wird, sieht sie sich mit Vorwürfen konfrontiert, dass sie nicht genug getan habe. Um die Wogen zu glätten, zieht man sie von dort ab. Einige Jahre später – hier gibt es einen Zeitsprung von fast 10 Jahren – wird sie Botschafterin in Istanbul. Dort begegnet sie dem Journalisten David, wieder, der auch damals in Montevideo vor Ort war und über das Geiseldrama berichtete. David ist Fred sympathisch. Die beiden verbringen eine Nacht zusammen. An welcher Geschichte David arbeitet, weiß Fred nicht. Aber plötzlich wird David von der türkischen Geheimpolizei gesucht und als Terrorist diffamiert. David taucht unter. Fred hilft ihm und begibt sich auf sehr dünnes diplomatisches Eis. Parallel versucht sie eine inhaftierte deutsch-türkische Menschrechtsaktivistin und deren Sohn aus dem Gefängnis frei und aus dem Land zu bekommen.

Den Hintergrund für die Geschichte liefert ein echter Fall: Die Journalistin Mesale Tolu war 2017 in der Türkei verhaftet worden. Ihr wurde „Terrorpropaganda“ und die Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation vorgeworfen. Sie durfte zwar 2018 nach Deutschland ausreisen, aber der Weg bis zu ihrem Freispruch vor Gericht dauerte vier Jahre. Der Fall hatte eine große Öffentlichkeit und ist ein gutes Beispiel dafür, wie Menschenrechte in der Türkei mit Füßen getreten werden. Teilweise lebte Tolus kleiner Sohn mit ihr im Gefängnis. Das alles war herzergreifend und für die junge Familie sicher unvorstellbar hart. Ich frage: Welche diplomatischen Anstrengungen waren nötig, um Mesale Tolu frei zu bekommen?

Diplomatie hat zwei Seiten: Das, was öffentlich kommuniziert wird, und das, was intern verhandelt wird. Jenseits der Medien gibt es: Absprachen, die getroffen werden. Kompromisse, die ausgehandelt werden. Regeln und Gesetze, die unbedingt eingehalten werden müssen. Spielräume, die ausgelotet werden. Manchmal allerdings reicht das alles nicht.

Botschafterin Andermann handelt nach ihrem Gewissen und trifft eine Entscheidung. (Dass sie nur mit ihrem Spitznamen Fred angeredet wird, kommt mir übrigens nur schwer über die Tastatur … diese maskuline Verkürzung ihres Namens fand ich persönlich seltsam, vielleicht wollte die Autorin damit sagen, dass Frau Andermann so gut wie ein Mann ist? Da wäre die Prämisse schon falsch und eine Wertung der Geschlechter völlig unpassend. Soll es androgyn wirken? Taff? Cool? Kein Ahnung. Wie gesagt, mir hat es nicht gefallen und ich bin immer wieder darüber gestolpert. Andere mögen es gern anders sehen …)

Alles, was Friederike Andermann tut, um die drei zu unrecht Beschuldigten zu retten, geschieht im Verborgenen. Das ist wichtig. So läuft das. Das ist keine Story für Seite eins. Über manche Dinge sollte man schweigen. Daran muss sich auch Journalist David halten.

Lucy Fricke entfaltet glaubhaft, mit klarer Sprache und trockenem Humor eine Geschichte unserer Zeit.

Es ist kein Kriminalroman oder Thriller. Spannend ist die Story schon. Einige Rezensenten bescheinigen dem Roman, er sei höchst aktuell und treffe den Nerv der Zeit – schließlich wurde schon oft gefragt, ob die Zeit der Diplomatie vorbei sei bzw. was Diplomatie ausrichte. Mit Diplomatie ließe sich weder der Krieg in der Ukraine noch andere Krisen beenden … Lucy Frickes Roman macht Mut, dass wichtige Dinge vor der Öffentlichkeit verborgen verhandelt werden und dem Guten dienen und es Menschen gibt, die nicht nur nach Status und Macht gieren, sondern auch bereit sind, moralisch integer zu handeln.

Und so ist Fred Andermann nicht nur eine Botschafterin, die gut Hände schütteln und winken kann, sondern eine, die aktiv wird, sich hinter das Steuer eines Mietwagens setzt und drei von der Polizei gesuchten deutschen Staatsbürger ans Mittelmeer fährt, damit sie von dort nach Griechenland übersetzen können.

Solche Botschafterinnen und Botschafter kann Deutschland sich doch nur wünschen, oder? Good Job!

Lucy Fricke: Die Diplomatin, Ullstein Hardcover, 256 Seiten, März 2022.

Rezensionen zu „Die Diplomatin“ auf bücher.de

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