Bis ins Mark

Das Beste kommt zum Schluss – oder der beste. Das beste Buch des Jahres ist für mich „Bis ins Mark“ von Stefan Schwarz. Stefan Schwarz ist auf meiner Blogseite ein gern gesehener Gast. So viele seiner Werke habe ich hier angepriesen. Seine Glossen sind großartig. Sein Humor – kompatibel mit meinem. Seine Sprache – gestochen scharf, auf den Punkt. Kurzum: Ich bin Fan. Und zwar seitdem Jürgen von der Lippe in einer Büchersendung (beim WDR?) „Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut“ von Stefan Schwarz gemeinsam mit – ich glaube, es war Carolin Kebekus – vorgelesen hat. In dem Punkt kann ich mich aber auch irren. Aber egal. Ich habe mir danach seine Sammlung von Glossen gekauft und seither jedes Buch, das er geschrieben hat.

„Bis ins Mark“ ist nun völlig anders. Zumindest vom Thema. Es geht um Leben und Tod. Und es handelt sich nicht um eine fiktive Geschichte – wobei man bei Stefan Schwarz Geschichten sowieso stets den Eindruck hat, man säße bei ihm daheim mit am Küchentisch … In diesem Fall kann es persönlicher nicht mehr werden. Stefan Schwarz zieht blank. Er schreibt über seine Krebserkrankung. Der Krebs sitzt in seinem Knochenmark. Unheilbar.

„Am Abend werde ich ihr eine Mail schicken. „Du bist das Letzte“, werde ich schreiben, „das Letzte, was ich von dieser Welt sehen will, bevor ich für immer die Augen schließe.“ Meine Frau antwortet zwei Stunden später. „Ach, mein Pathoskönig!“ Ich gebe auf. Ich krieg sie nicht mehr zum Heulen.“

Pathos kann man lange suchen. Zum Glück. Es sind die großen Dinge, die zur Sprache kommen. Aber nie pathetisch, kitschig oder wie diese schalen Sprüche auf Postkarten oder Hotelzimmerwänden: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter“. Wenn tatsächlich jeder Tag dein letzter Tag sein könnte?

Stefan Schwarz schreibt über seine Beziehungen, Träume, die Wunden und Verletzungen, die er mit sich herumträgt. Vor allem das „Unverdaute“, die losen Enden des Lebens melden sichim Angesicht des Todes.

Und er schreibt über seine Angst. Manchmal ist sie unberechtigt, manchmal fühlt sie sich an, als verfolge ihn ein großer, wilder Bär.

„Er steht vor mir, riesengroß, hebt die Pranken und brüllt. Ich stehe vor ihm, klein und schwach, und er brüllt mir ins Gesicht. Er brüllt, dass mir die Haare flattern. „Ah“, sage ich. „Du bist meine Wut! Meine ungeheure Wut!“ Er ist wirklich gefährlich. Er kann mit einem Prankenhieb alles zerstören. Liebe, Vertrauen, Geborgenheit. Dann mache ich ein, zwei Schritte auf ihn zu. Er brüllt noch lauter. Jetzt bin ich vor ihm und umfasse seinen Pelz. Einen zotteligen, stinkenden Pelz, (…). „Ich weiß“, sage ich leise in sein struppiges Fell. „Du bist diese Wut, dass mein Sohn nicht so ist, wie ich meine, dass er sein sollte, damit ich mit ihm angeben kann vor Leuten, die entweder schon tot sind oder mich eigentlich gar nicht interessieren!“ Da hört der Grizzlybär das erste Mal zu brüllen auf und schnauft kurz.“ Dann liest er ihm etwas Nietzsche vor und der Bär schrumpft auf Teddybärgröße.

Über viele seiner Beschreibungen habe ich laut und herzlich gelacht. Dann wiederum standen mir Tränen in den Augen. Da ich mich – ähnlich wie Schwarz sich – zu den Hypochondern und Sensiblen zähle, fand ich ich es mutig, wie Stefan Schwarz jeden einzelnen Schritt seiner Krebsbehandlung durchlaufen und beschrieben hat. Auch seine hartnäckige Weigerung, sich in einem Rollstuhl zu den Behandlungen fahren zu lassen („Der Tod rollt. Das Leben geht.“), kann ich sehr gut nachvollziehen. Das Aufbäumen gegen die Krankheit und das sich Fügen in das Unausweichliche – beides gehört dazu. So wie der Körper während einer Krebsbehandlung auf das Allernötigste heruntergefahren wird, schält sich in diesem Prozess auch die eigene Persönlichkeit heraus – ein Wesenskern, etwas, an das man sich halten kann. Das sind meine Worte – ich weiß nicht, ob sie Stefan Schwarz gerecht werden. Darum: Selber lesen!

Fazit

Mein Buch des Jahres 2022 ist „Bis ins Mark. Wie ich Krebs bekam und mein Leben aufräumte.“ Dieses Buch ist ganz anders als andere Bücher von Stefan Schwarz. Und doch ist es ein echter Stefan Schwarz: Seiner Sprache und seinem besonderen Humor kann auch der Krebs nichts anhaben. Ich wünsche ihm, dass es nicht sein letztes ist.

„Und noch eins“, sagt der Doktor zum Schluss der Belehrung. “ Da Ihr Immunsystem durch die Chemotherapie beeinträchtigt ist, dürfen sie in den nächsten drei Monaten keinen Oralverkehr, keinen Analverkehr und generell keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr ausüben!“

„Auch keinen Gruppensex?“, frage ich so entsetzt wie möglich. „Gangbang, flotter Dreier, Rudelbumsen – alles verboten?“ Der Dokor nickt, wenn auch schon etwas irritiert. (…) „Und wie ist es mit Auspeitschen?“, frage ich den Doktor zum Abschluss. „Also vorausgesetzt, dass die Peitsche tippitoppi sauber ist…“ Er kann mein Gesicht nicht lesen. Ich habe eine Maske auf. Aber meine Augen funkeln glücklich. Spaß!“

2 Kommentare

  1. Mir war bis zu diesem Buch Stefan Schwarz gar kein Begriff, aber „Bis ins Mark“ hat mir auch ausnehmend gut gefallen. Danach hatte ich mir dann „Hier stimmt was nicht“ geholt, das mir dann doch zu dünn war. Einen guten Rutsch und immer genügend Bücher anbei. Anna

    Like

    1. Ja, das stimmt. Das war eins der schwächeren Bücher. Aber „Das wird jetzt ein bißchen weh tun“ fand ich großartig und ich liebe eben seine Glossen … die ersten Bücher wie eben „Ich kann nicht, wenn die Katze zuschaut“. Leichte Unterhaltung, aber sprachlich nicht seicht. Ganz liebe Grüße und ebenfalls einen guten Rutsch! Jetzt schau ich sofort mal in deinen Bücherrückblick, liebe Anna!

      Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s