Jane Austen Fans dürfen sich freuen: Diese Fortschreibung der Geschichte um die Schwestern Bennet bietet eine phantasievolle neue Perspektive auf „Stolz und Vorurteil“. Elizabeth und Mr. Darcy, Jane und Mr. Bingley, Charlotte und Mr. Collins – sie alle lässt Janice Hadlow auferstehen, aber keiner von ihnen steht im Mittelpunkt. In dieser Geschichte dreht sich alles um Mary Bennet. Mary ist die dritte in der Rangfolge der Bennet-Schwestern. Wenig bedacht auf ihre äußere Erscheinung, die Nase stets in Büchern, belehrend den Zeigefinger hebend oder traurige Weisen am Klavier spielend – so kennen wir Mary. Etwas sauertöpfisch, altklug, nervig. Aber ist sie wirklich so? Vielleicht ist sie ganz anders? Ich freue mich, dass sich Janice Hadlow in ihrem Romandebüt Mary annimmt.
Marys Geschichte beginnt wie bei Stolz und Vorurteil vor dem Ball in Meriton, also bevor Mr. Bingley und Mr. Darcy in die Grafschaft reisen und der ganze Trubel um „wer mit wem“ losbricht. Mary wird als zartfühlende, sensible Person dargestellt, die stets im Schatten ihrer beiden großen Schwestern steht und darunter leidet. Jane und Eliza sind hübsch und klug – und darüber hinaus ist Eliza auch noch die Lieblingstochter des Vaters. Für Mary bleibt da wenig Aufmerksamkeit übrig. Die Mutter interessiert sich für sie nicht, weil sie nicht so schön ist wie die Schwestern und seltsame Gewohnheiten pflegt – zum Beispiel das Lesen. Der Vater interessiert sich nicht für Mary, weil er sich im Grunde für nichts und niemanden interessiert. Am liebsten sitzt er in seiner Bibliothek, liest und will nicht gestört werden. Nur Elizabeth schenkt er zuweilen etwas mehr Aufmerksamkeit. Die großen Schwestern scheinen sich selbst genug, auch sie schließen Mary oft aus.
Mary leidet darunter, in ihrer Familie nicht gesehen zu werden. Nur Mrs. Hill, der Haushälterin, kann sie sich anvertrauen. Und Mrs. Hill, die gute Seele, ist diejenige, die Mary sehr zugetan ist, sie unterstützt, sie berät und aufbaut, wenn es ihr schlecht geht. Die erste große Auseinandersetzung, die Mary zu bestehen hat, ist die Tatsache, dass sie eine Brille benötigt. Sie hat sich ganz der Welt der Bücher und der Wissenschaft verschrieben. Sie liest weniger Romane oder Gedichte, sondern Geschichtsbücher, ist interessiert an Philosophie und Theologie. Eigentlich möchte sie mit ihrem Wissensdrang den Vater beeindrucken. Dieser lässt sie auch gewähren, interessiert sich aber nicht weiter für das, was Mary liest. Dabei würde sie so gern mit ihm über das Gelesene diskutieren … Eines Tages bemerkt sie, dass sie die Buchstaben nicht mehr lesen kann. Sie braucht eine Brille. Ihre Mutter möchte nicht, dass Mary eine Brille trägt, schließlich ist eine Brille wenig kleidsam und verschlechtert Marys ohnehin schon trüben Chancen auf einen Ehemann. Doch Mary kann sich durchsetzen. Die neue Brille ist wunderbar! Mary kann das tun, was ihrem Leben Sinn gibt: Lesen. Sie möchte die Welt verstehen und begreifen.
Ist das die Geschichte einer klugen jungen Frau der Regency-Ära, die nur noch etwas mehr Selbstvertrauen braucht, um ihren Platz im Leben zu finden? Vielleicht!
Der Anfangsteil, der parallel zur bekannten Stolz-und-Vorurteil-Geschichte geschrieben ist, hat Längen. Für mich wird die Geschichte um Mary erst so richtig interessant, als sich die Autorin von der Jane-Austen-Vorlage löst und Mary eigene Wege gehen lässt.
Nach dem Tod des Vaters wohnen Mary und ihre Mutter bei den reich verheirateten Schwestern (hier bekommt man noch ein paar Einblicke in das Ehelebene der Darcys…). Aber Mary fühlt sich dort nicht so recht wohl. Und so besucht sie ihre alte Feundin Charlotte, die mittlerweile mit ihrem Ehemann, Mr. Collins, auf Longbourn wohnt. Mr. Collins wurde einst von Elizabeth und Jane als Ehemann abgewiesen. Mary jedoch hätte sich durchaus vorstellen können, ihn zu heiraten, um ihre Pflicht als gute Tochter zu erfüllen. Aber die Mutter hatte damals ihren Vorschlag als lächerlich abgetan. Mary ist im Nachhinein froh, dass sie Mr. Collins nicht geheiratet hat – Mr. Collins hätte ihr vermutlich auch keinen Antrag gemacht, schließlich hat er sie nie eines Blickes gewürdigt, doch in den Wochen von Marys Aufenthalt auf Longbourn muss er feststellen, dass Mary eine beeindruckende und liebenswerte Frau ist. Er sieht sie mit völlig neuen Augen. Mit ihr kann er sich ganz wunderbar über alle möglichen literarischen Werke austauschen. Er lehrt Mary sogar Altgriechisch, damit diese Aristoteles im Original lesen kann. Während Mr. Collins mehr als geschmeichelt ist, in Mary eine so lehrsame Schülerin zu haben. Natürlich bleibt Charlotte das Interesse ihres Ehemannes an Mary nicht verborgen. Mary wird Longbourn verlassen müssen. Sie reist nach London zu ihrem Onkel Mr. Gardener.
Und nun verrate ich nicht, wie es weitergeht. Nur soviel: Schon in „Stolz und Vorurteil“ hatten die Gardeners großen Anteil an Elizabeth Glück. Auch Mary wird in London interessante Begegnungen machen … mehr als einen Verehrer im Schlepptau.
Fazit:
Schöne Idee, Mary aus dem Schatten der literarischen Geschichte heraustreten zu lassen. Ich gebe zu, der Text hat zwischendurch wirklich Längen. Trotzdem bleibt die Geschichte unterhaltsam. Die Sprache ist ganz wunderbar – und zumindest Jane Austen nachempfunden. Vielleicht hätte noch mehr Humor durchscheinen dürfen – ich erinnere mich, dass ich bei Jane Austen Romanen zwischendurch herzhaft lachen musste. Alles in allem bin ich aber positiv überrascht. Es gibt Autorinnen und Autoren, die glauben, allein der Anklang an Jane Austen sei ein Garant für Erfolg. Auf dem englischen Markt finden sich, soweit ich das durch Googeln überblicken konnte, einige „Schundromane“, die sich an Jane Austen Vorlagen vergreifen. Janice Hadlow hat es, wie ich finde, zurecht auf den deutschen Büchermarkt geschafft.
Janice Hadlow: Miss Bennet, Goldmann Verlag.
Ich empfehle, wie immer, das Hörbuch, es war sehr angenehm zu hören!
Und für Jane Austen Fans bin ich bei meiner Recherche noch auf einen Blog gestoßen: Die Welt der Jane Austen