Vorweg: Dies ist kein schlechtes Buch. Es ist nur sehr überraschend, dass es mir gefallen hat. Um Cecelia Ahern mache ich für gewöhnlich einen Bogen. Ihr Debüt „PS. Ich liebe Dich.“ habe ich vor 20 Jahren gelesen – wie Millionen von anderen Menschen weltweit. Was für ein Erfolg! Und dann kam bald darauf die Verfilmung. Ich dachte damals: War in Ordnung, muss ich nicht noch einmal haben. Viel Kitsch, viel Vorhersehbares. Tränen, Romantik – am Ende wird alles gut. Wenn Laura Ashley keine Blümchentapeten designen würde, sondern Autorin wäre, kämen solche Bücher heraus … Für die Irin Cecelia Ahern war das der Anfang einer bis heute andauernden Karriere.
Alle Farben meines Lebens. Das aktuelle Werk von Cecelia Ahern ist wieder in den Bestsellerlisten. Natürlich. Das Cover war mir bereits aufgefallen – die kräftigen Farben. Ein fröhlicher Look. Ein Wohlfühlroman. Dachte ich. Warum nicht? Und da das Hörbuch von Tessa Mittelstaedt eingesprochen wurde, habe ich es gewagt (ganz, ganz großartig, Hörprobe habe ich verlinkt!). Und dann war ich überrascht. Positiv. Denn die Geschichte beginnt düster – und bleibt düster auf lange Sicht. Die Story ist keineswegs so glatt poliert, wie ich dachte, zumindest am Anfang nicht.
Alice wächst mit ihren beiden Brüdern und ihrer Mutter Lilly auf. Der Vater hat die Familie verlassen. Lilly ist Alkoholikerin. Außerdem hat sie große Stimmungsschwankungen. Bei ihr wird eine bipolare Störung festgestellt, später erhält sie auch noch eine Krebsdiagnose. Die arme Frau, könnte man jetzt denken. Ja, sie ist arm dran. Auch Alice fühlt sich ihrer Mutter verbunden, hat Mitleid und tut, was sie kann, um ihr das Leben zu erleichtern. Aber Lilly ist „böse“. Sie ist völlig lieblos und behandelt vor allem Tochter Alice wie den letzten Dreck. Während Alice ihr eigenes Leben hintenanstellt, dankt es ihr die Mutter an keiner Stelle. Nach Strich und Faden wird Alice zu Hause ausgenutzt. Während ihr jüngerer Bruder auf die schiefe Bahn gerät, gelingt es ihrem älteren Bruder weit weg von der Mutter ein eigenes, gutes Leben aufzubauen. Er unterstützt Alice, wo und wie er nur kann. Aber Alice muss selbst erkennen, was gut für sie ist und sich von ihrer Mutter lösen. Hin und hergerissen zwischen Selbstaufopferung, Selbstaufgabe und den eigenen Träumen muss Alice irgendwann eine Entscheidung treffen. Als wäre die prekäre Situation ihrer Familie nicht schon Herausforderung genug, besitzt sie außerdem die Fähigkeit „Farben“ zu sehen. Die Gefühle von Menschen manifestieren sich in Farben, die sie umgehen. Alice kann diese sehen und lernt sie zu deuten. Das hilft ihr, Menschen einzuschätzen, aber sie muss sich auch davor schützen: Die positiven, aber auch die negativen Gefühle ihrer Umgebung dringen über die Farben, die sie sieht, ungefiltert in sie ein. Ist das ein Fluch oder eine Gabe? Alice muss lernen, diese Fähigkeit zu beherrschen, um ihr Leben zu meistern.
Natürlich bietet Cecelia Ahern wieder die übliche Mischung aus Tragik und Glück, Traurigkeit und Freude. Und die Liebe darf auch nicht fehlen. Dabei dreht sich alles um Alice. Es ist eine breit angelegte Lebensgeschichte – von der Kindheit bis zu ihrem Tod. Ein Entwicklungsroman. Mit fantastischen Elementen – auch wenn die Autorin immer wieder Versuche startet, das Phänomen der Farben, die Alice sieht, wissenschaftlich oder psychologisch zu erklären. Die Beschreibung der Farben war originell, aber manchmal auch einfach plump.
(Zum Beispiel als ihre Freundin in der Wohnung nebenan einen Patienten empfängt, der so böse ist, dass sich eine schwarze zähflüssige Masse über den Boden ergießt – die er über die Treppe nach unten und auf den Platz vor dem Haus hinterherzieht und die sich immer weiter ausdehnt… wie habe ich mir das vorzustellen? Überzieht diese Masse, diese Farbe Gegenstände und Menschen gleichermaßen? Ist es nur ein Filter? Dann muss sich die Farbe aber nicht wie eine Flüssigkeit auf dem Boden verteilen… ich weiß es nicht. Für mich hätten die Beschreibungen subtiler sein dürfen.)
Ich fand die Geschichte wirklich überraschend. Dass das Leben von Alice bis zum Tod erzählt wird, hätte es für mich nicht gebraucht. Hier wird wieder unnötig Harmonie hergestellt. Es soll vermutlich am Ende schön rund werden, wo doch der größte Teil der Lebensgeschichte von Alice ganz und gar nicht rund verlief. Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenalter waren die spannenden Teile der Geschichte. Ich hätte mir gewünscht, an dem Punkt in die Tiefe zu gehen, an dem sie lernt, mit ihrer Fähigkeit zu leben – und wie und warum gelingt ihr das? An entscheidenden Stellen bleibt die Autorin an der Oberfläche. Am Ende ist es ein Wohlfühlroman.