(Vorweg: Alle Bücher, zu denen ich hier meine Meinung schreibe, habe ich mit echtem Interesse gelesen und nicht selten, weil ich die Autoren sehr schätze, wie in diesem Fall.)
Nun, also, Bernhard Schlink hat einen neuen Roman: Olga.
Olga ist eine Waise und wächst bei ihrer Großmutter in Pommern auf. Sie befreundet sich mit Herbert, dem reichen Gutsbesitzersohn. Während Herbert schon als Kind ein Getriebener ist (am liebsten rennt er), ist Olga ehrgeizig und strebsam. Sie erarbeitet sich ein Stipendium, um zu studieren und wird schließlich Lehrerin. Herbert und Olga werden ein Paar, aber ihre Zukunft ist mehr als ungewiss. Herberts Eltern drohen damit, ihren Sohn zu enterben. Die beiden halten aneinander fest, obwohl sie sehr verschieden sind. (Mir erschließt sich nicht, was die beiden aneinander finden – die große Liebe? Mir erscheint es, als müsse die Kinder- und Jugendfreundschaft zwangsläufig in eine Beziehung münden.) Herbert sucht in fremden Ländern sein Glück, kommt aber immer wieder zu Olga zurück, bis er zu einer Expedition in die Arktis aufbricht…
Der zweite Teil handelt vor allem davon, dass sich Olga nach dem Krieg in Heidelberg nebenbei noch Geld verdienen muss, weil sie von ihrer kleinen Lehrerinnenrente nicht leben kann. Sie näht und bessert Kleidung aus in einem Pfarrerhaushalt. Der Pfarrerssohn, Ferdinand, wächst ihr besonders ans Herz. Dieser Teil hat mich am wenigsten angesprochen – Ferdinand bleibt ausgesprochen langweilig, was Olga selbst über ihn in einem Brief schreibt. In groben Zügen galoppiert Bernhard Schlink auf 300 Seiten durch mehr als 70 Jahre deutscher Geschichte: Zwischen „Dann erklärte Deutschland Russland den Krieg…“ (1914) und „Sie nähte in mehreren Familien, bis sie Anfang der 1950er Jahre nach einigem Hin und Her … die kleine Pension bekam (…)“ liegen gerade einmal 13 Seiten.
Erst im dritten, und wie ich finde, dem besten Teil bekommt für mich die Erzählung eine Tiefe, die mir Olga noch einmal etwas näherbringt. Ferdinand gelangt an Olgas Briefe, die sie Herbert nach Tromsö/Norwegen geschickt hat, postlagernd, auch viele Jahre nach seinem Tod in der Arktis. Leider sind etliche Fakten, die Olga berichtet, schon aus dem ersten Teil bekannt. Und das, was neu ist, ist nicht die Entdeckung, sondern lag (für mich als Leserin) recht nahe – auch Olga selbst scheint ihr Geheimnis nicht „aus der Bahn“ zu werfen. Erst in ihren Briefen spürt – oder ahnt – man etwas von dem Schmerz, der sie im Leben umgetrieben haben muss. Das passt so gar nicht zu ihrem Abgang…
Olga ist eine interessante Frauenfigur, aber sie wird nicht recht lebendig. Vielleicht hätte man die Erzählteile anders – und schon gar nicht in zeitlicher Abfolge – anordnen können: Jemand stößt heute in einem Antiquariat auf Olgas Briefe und beginnt zu recherchieren. Nach und nach setzt sich daraus Olgas Lebensgeschichte zusammen und erinnert an ihr Schicksal. (Okay, sorry, jetzt geht es mit mir durch, das wäre eine andere Geschichte…)
Bernhard Schlink: Olga, Diogenes Verlag, Januar 2018, 320 Seiten.