Sag den Wölfen, ich bin zu Hause. Was kann ich noch über dieses Buch sagen, was nicht bereits geschrieben wurde? So viele Rezensionen und Besprechungen zu diesem Titel. Ich versuche es mal aus einer anderen Perspektive: der Buchrezeption.
Die Erfolgsgeschichte begann 2012, als der Roman unter Tell the Wolves I’m home in Amerika von Random House veröffentlicht wurde. Über die Zeit davor, kann ich nur spekulieren: Wie lange hat es gedauert, die knapp 450 Seiten zu schreiben, zu überarbeiten, den Stoff Agenten oder Verlagen anzubieten? War sofort klar, was das Manuskript für ein Rohdiamant darstellte oder musste Überzeugungsarbeit geleistet werden? – Einmal veröffentlicht, hat sich der Roman auf dem Markt ziemlich schnell durchgesetzt. Die Autorin Carol Rifka Brunt wurde in Queens in New York geboren, lebt heute in der Grafschaft Devon in England und hat von dort aus erst einmal die Bestsellerlisten Amerikas erobert. Danach wurde das Buch in mittlerweile 18 Länder verkauft und erschien in diesem Jahr endlich auch bei uns – das hat immerhin sechs Jahre gedauert. Interessant finde ich, wie unterschiedlich die Motive auf dem Cover in den jeweiligen Ländern ausfallen. Carol Rifka Brunt hat sie auf ihrer Website zusammengetragen (Link s. unten), sogar die Titel variieren. Auf dem norwegischen Titel steht ganz groß Onkel Finn. Auf manchen sind die Schwestern Greta und June abgebildet. Oft findet man Waldmotive, auch der Wolf tritt in stilisierter Form auf. Manche sind düster, andere wirken verträumt, manche gezeichnet, andere realistisch, wie z.B. das russische Cover oder das schwedische mit der Skyline New Yorks. Ich muss gestehen, dass ich das Buch gekauft habe, weil mich das deutsche Cover auf Anhieb angesprochen hat und ich den Titel sehr originell fand (übrigens eine sehr gelungene Ausgabe im noch jungen Eisele Verlag!!!).
Die Geschichte spielt 1987. Die Schwestern June und Greta besuchen regelmäßig mit ihrer Mutter ihren Onkel Finn, einen bekannten Maler, der in New York lebt und der unter einer rätselhaften und noch nicht gut erforschten Krankheit leidet, die sich als AIDS herausstellt. (Ich selbst erinnere mich noch gut an diese Zeit der 80er Jahre, in der eine diffuse Angst vor dieser Krankheit die Runde machte und damit einhergehend eine Menge Vorurteile…) Vor allem für die 14-jährige June ist Finn eine wichtige Person in ihrem Leben. Ihre Schwester Greta zieht sie gern damit auf, dass June in Finn verliebt sei. Um June zu ärgern, hält Greta bei einem Besuch einen Mistelzweig über ihre Köpfe und nötigt Finn und June dazu, sich zu küssen. Sie zieht June damit auf, dass sie sich nun vielleicht mit Aids angesteckt habe… Das Verhältnis der Schwestern pendelt zwischen Nähe und Distanz, Liebe und Eifersucht. Es ist keine einfache Beziehung, die die beiden führen.
Finn hinterlässt June und Greta ein Gemälde, ein Porträt von ihnen, das er kurz vor seinem Tod fertiggestellt hat. Diese Idee war für Carol Rifka Brunt die Ausgangsidee, aus der sie die Geschichte entwickelt hat. Es stellt sich heraus, dass es nicht nur zwischen Finn und den Schwestern ein unsichtbares Band knüpft, sondern auch noch zu einer weiteren Person, die June erst nach der Beerdigung von Finn kennenlernt: Finns Freund Toby. Über ihn lernt sie ihren Onkel noch einmal von einer ganz neuen Seite kennen.
Der Coming-of-Age-Roman handelt von Verlust, Freundschaft, Familie und vom Erwachsenwerden. Wie schwer es ist, mit dem Leben klarzukommen, wenn wichtige Bezugspersonen mit einem Mal fehlen. Ein Roman (nicht nur) für junge Erwachsene.
Es braucht ziemlich Anlauf, die Geschichte, und nicht alles hat mich gleichermaßen gepackt, aber der Schluss hat es wieder gut gemacht. Von daher kann ich nur in das allgemeine Lob einstimmen: Qualität setzt sich durch.
Das Buchcover in den verschiedenen Länderausgaben.
Carol Rifka Brunt: Sag den Wölfen, ich bin zu Hause, Eisele-Verlag, Februar 2018, 448 Seiten.