Eine Entdeckung: Die Serienmörderin

Meine Schwester. Die Serienmörderin. Von Oyinkan Braithwaite. Ein Buch, auf das ich zufällig gestoßen bin und dachte: Allein der Titel reizt mich, es zu lesen. Das Signalgrün schreit nach Aufmerksamkeit – zu Recht, wie ich finde. Dieses Buch verdient Beachtung. Ich habe die 230 Seiten an einem Tag gelesesen, was soviel bedeutet wie: einmal angefangen, legt man es nicht mehr aus der Hand. Für mich ist es ein Gütesiegel, wenn mich die Geschichte so fesselt, wie die Serienmörderin es getan hat. Dabei ist es gar nicht so sehr die Serienmörderin, die mich in ihren Bann gezogen hat – vielmehr ihre Schwester. Aber von vorn.

Wovon handelt die Geschichte?

Um zwei ungleiche Schwestern. Korede und Ayoola. Ayoola ist wunderschön. Sie ist klein und kurvig. Frauen verblassen vor Neid, wenn sie sie sehen, aber Männer verfallen ihr willenlos. Ihre Schönheit macht sie zu einer Art Superwoman, ausgestattet mit einer Superkraft, mit der sie leider nicht umgehen kann.  Sie wird zum Fluch für alle Männer, die sich mit ihr einlassen. Ihre Schwester Korede hingegen beschreibt sich selbst als häßlich. Sie ist groß und kantig. Sie ist gebildet, arbeitet als Krankenschwester in einem Krankenhaus und soll dort zur Oberschwester befördert werden. Sie ist verantwortungsbewusst und zuverlässig. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sie in den Arzt Tade verliebt ist. Tade ist ein Traum von einem Mann: einfühlsam, klug, fröhlich, hilfsbereit, gerecht … und dazu noch sehr gutaussehend.

Ein zunächst schwaches Pfeifen im Flur kommt immer näher. Wenn er nicht gerade singt, dann summt er, und wenn er davon genug hat, pfeift er. Er ist eine Spieluhr auf zwei Beinen. Das Geräusch hebt meine Stimmung.

Einem kleinen Mädchen, dass Blut abgenommen werden soll, davor aber zu große Angst hat, singt Tade ein Kinderlied vor – und er singt so wunderschön, dass die Menschen draußen auf der Straße stehenbleiben und zum geöffneten Fenster des Krankenhauses schauen: Das ist Tade. Für Korede steht er auf einem Sockel. Sie stetzt alles daran, ihm nah sein zu können.

Und da gibt es ja auch noch ein dunkles Familiengeheimnis. Eigentlich gibt es mehrere. Denn Korede, Ayoola und ihre Mutter litten viele Jahre unter dem Vater und Ehemann. Ein bösartiger Tyrann, der die Familie mißhandelt hat. Die drei sind froh, dass der Vater tot ist. Trotzdem wahren sie auch nach seinem Tod die Fassade einer glücklichen Familie und halten sein Andenken (augenscheinlich) in Ehren.

Was Korede aber noch viel mehr belastet – im Gegensatz zu ihrer Schwester: Ayoola bringt regelmäßig ihre Liebhaber um. Beim ersten Mal dachte Korede noch, Ayoola habe in Notwehr gehandelt. Aber warum steckt ihrem Liebhaber dann das Messer im Rücken? Warum gibt es nie Kampfspuren? Warum ist Ayoola stets unverletzt? Während Ayoola nach ihren Taten nicht weiß, was sie tun soll, besinnt sie sich dann auf ihre Schwester. Korede hat immer eine Lösung. Sie beseitigt nicht nur die Leichen, sondern auch alle Anzeichen ihres Todes. Der Todesort ist „klinisch rein“, wenn Korede mit ihrer Arbeit fertig ist.

Wie in einer griechischen Tragödie kommt es, wie es kommen muss: Ayoola besucht Korede im Krankenhaus und begegnet Tade. Von der einen auf die andere Sekunde ist er ihr verfallen. Und Korede muss zusehen, wie das Bild, das sie sich von Tade gemacht hat, zu bröckeln beginnt ..

Abgründig, böse, klug, ironisch, traurig, tragisch, rasant. Das alles trifft hier zu (und vermutlich noch einiges mehr). Nicht alles wird von Oyinkan Braithwaite auserzählt. Manches bleibt bei Andeutungen. Es gibt Leerstellen. Es bleibt Rätselhaftes. Auch das macht den besonderen Reiz und den Erzählstil aus.

Eine Entdeckung. Empfohlen von der New York Times und als bester Krimi 2019 ausgezeichnet. Und ich gebe beide Daumen hoch: Lesen!

Oyinkan Braithwaite: Meine Schwester. Die Serienmörderin, 240 Seiten, Blumenbar, März 2020.

Marcus Müntefering weist zu Recht darauf, dass die Autorin mit wenigen Worten eine maximale Wirkung erzielen kann. Die Autorin wurde 1988 in Nigeria geboren. Dort spielt auch ihr Roman.

Rezension von Marcus Müntefering bei Spiegel Online.

Rezension von Jonathan Fischer in der Süddeutschen.

Ach ja, noch etwas:

Der Roman wird als Krimi vermarktet. – – Ist es ein Krimi? Immer diese unsäglichen Genre-Einordnungen! Die Menschen, die einen klassischen Krimi lesen wollen, werden durch diese Zuschreibung in die Irre geführt. Diejenigen, die lesen, dass es sich um einen Krimi handelt, aber Krimis in der Regel „flach“ finden, werden vielleicht einen Bogen um den Roman machen. Mein erstes Buch Rothard/Eine Prise Mord hatte auch genau mit dieser Genrezuschreibung zu kämpfen: Eine Köchin, die über Leichen geht und damit durchkommt. Ist das ein Krimi? Nicht wirklich. Darum: Bitte, liebe Leserinnen und Leser, gebt nicht so viel auf das übliche Schubladendenken in dieser Branche…

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