Der Thriller „Gejagt im Eis“ spielt auf Spitzbergen, einem der rohstoffreichsten Gebiete der Erde, die auch als „Schatzkammer im ewigen Eis“ bezeichnet wird.
„In den Polarregionen werden riesige Öl- und Gasvorkommen vermutet. Der Rückgang des Eises in Arktis und Antarktis macht deren Ausbeutung möglich. Doch die Förderung ist kompliziert und mit hohen Umweltrisiken verbunden. Auch die Gebietsansprüche sind nicht gänzlich geklärt (Antje Neumann, Bundeszentrale für politische Bildung).“
Diese geopolitische Situation bietet die reale Blaupause für den Agenten- oder Abenteuerthriller, den Odd Harald Hauge hier vorlegt. Er selbst ist norwegischer Journalist und Extremabenteurer, der Schneemobiltouren durch Spitzbergen anbietet – das bedeutet: Er weiß, wovon er redet. Er kennt nicht nur das Land, sondern ist auch bewandert in der Geschichte von Spitzbergen und den aktuellen politischen Entwicklungen. Der politische Plot: Obwohl Spitzbergen unter norwegischer Verwaltung steht, setzen die USA und Rußland alles daran, ihren Einfluß in der Arktis geltend zu machen. Odd Harald Hauge nimmt sich ein Beispiel am militärischen Einmarsch der Russen auf der Krim. Könnte so etwas Ähnliches nicht auch auf Spitzbergen passieren? Dabei sind auf Spitzbergen ausdrücklich alle Maßnahmen militärischer Art verboten …
Aber noch einmal ganz von vorn. Im Mittelpunkt der Story steht Martin Moltzau – und der erinnert schon sehr an seinen Schöpfer, Odd Harald Hauge (ist dieser wirklich so cool und hartgesotten wie sein fiktives Double???).
Martin Moltzau ist ein Extremabenteurer, ein Extremsportler, ein Einzelgänger. Bei der Besteigung des Mount Everest hat er zwei Finger verloren. Über seine spektakulären Touren hat er Bücher geschrieben. Er hatte Werbeverträge und Sponsoren. Das alles ist nun zwar Geschichte, aber noch immer gilt Martin als der beste Tourguide, den man auf Spitzbergen bekommen kann, jemand, der das Gebiet wie seine Westentasche kennt. Die reiche Familie Parker aus den USA heuert ihn an. James, Sarah und ihre erwachsene Tochter Cindy entpuppen sich schon sehr bald als die anstrengensten Gäste, die Martin je übers Eis geführt hat. Darüber hinaus scheinen sie vom Pech verfolgt zu sein. Erst wird Martin durch James Schneemobil am Bein verletzt, dann wird die Gruppe nachts von einem Eisbären angegriffen und am nächsten Tag verlieren sie Cindy im Nebel. Die kleine Gruppe muss in Pyramiden Zwischenstopp einlegen.
Exkurs: Pyramiden ist eine ehemalige russisch-sowjetische Bergbausiedlung – ein wundersamer Ort mit Geschichte. Über tausend Menschen lebten und arbeiteten dort. Ein Prestige-Projekt der Sowjetunion, die mit dem Spitzbergen-Vertrag von 1920 das Recht zur Ausbeutung von Bodenschätzen erhielt (genau wie die anderen unterzeichnenden Nationen, Spiegel-Online 10.8.2016, Quelle siehe unten). Dann wurde die Siedlung aus Kostengründen aufgegeben. Heute ist Pyramiden eine Geisterstadt und der Besuch wie eine Reise in die sowjetische Vergangenheit, eine Zeit des Kalten Krieges und des Wettrüstens der Weltmächte. Ein wunderbarer Or für einen Agententhriller …
Auf der Suche nach Cindy entdeckt Martin in Pyramiden ein russisches Waffenlager, dann stößt er auf Cindy, die keine reiche Millionenerbin aus den USA ist, sondern für die CIA arbeitet. Jetzt nimmt der Thriller richtig Fahrt auf: Martin muss sich selbst und seine kleine Reisegruppe sicher wieder nach Longyearbyen bringen. Aber eine russische Spezialeinheit – schwer bewaffnet und sehr gut ausgerüstet – ist ihnen dicht auf den Fersen. Es wird Tote geben, irrwitzige Fahrten durch Schnee und Eis, mehr als eine ausweglose Situation … aber wie Bruce Willis in Die Hard wird Martin wohl am Ende barfuß in Longyearbyen einlaufen.
Realistisch? Unrealistisch? Völlig überzogen? – – Auf jeden Fall spannend. Und zumindest ein Szenario, das nicht ganz aus der Luft gegriffen ist: Odd Harald Hauge lässt Spitzbergen zum Spielball zwischen Rußland und den USA werden. Beide Seiten wollen mit allen Mitteln ihre Interessen durchsetzen. Das Ende ist nur konsequent … leider auch etwas unvermittelt.
„Gejagt im Eis“ ist ein Thriller, der wie ein Kinofilm im Kopf abläuft. Ich habe ihn nicht gelesen, sondern als Hörbuch gehört. Es kann sein, dass ich diesen Titel als Buch irgendwann zur Seite gelegt hätte – die ständigen Bodenwellen, Kurven, Fahrten auf Eis und Schnee wären mir als Leserin vielleicht irgendwann zu viel geworden. Hervorragend gelesen von Sebastian Dunkelberg war „Gejagt im Eis“ jedoch für mich eine kurzweilige und spannende Unterhaltung für die Ohren.
Odd Harald Hauge: Gejagt im Eis, 2021, Audible Hörbuch.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung
Lesenswert mit Fotostrecke bei Spiegel-online: Pyramiden auf Spitzbergen: Wo Lenin immer noch wohnt