Ich und die Menschen

Dieses Buch hat sich in meine Sommerlektüre dazwischengeschoben. Ich hatte ja bereits letzte Woche erzählt, dass es so viele Bücher gibt, die ich schon immer lesen oder hören wollte, die aber noch warten müssen. „Ich und die Menschen“ erschien im April 2014. Ganz so lange liegt es jetzt noch nicht bei mir, aber lange genug. Es ist nicht mein erster Roman von Matt Haig. Aber wieder einmal muss ich einfach zugeben:

Matt Haig hat es drauf. Er hat mich noch nie enttäuscht. Manche sagen, er sei zu glatt, zu geschliffen, er böte zu viel Pathos und unterm Strich nur platte Alltagsphilosophie. Nein. Auf keinen Fall. Ich mag seine Geschichten und philosophischen Überlegungen. So kenne und mag ich Matt Haig: Dass er nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern etwas über unser Leben an sich.

In „Ich und die Menschen“ lässt er einen Außerirdischen in die Gestalt eines Menschen schlüpfen und aus seinem exterritorialem Blickwinkel auf die Welt und seine verrückten Menschen schauen. Das birgt viel Komik in sich, aber eben auch viel Weisheit. Der Auftrag des Alien ist ziemlich einfach und klar umrissen: Er tötet einen Mathematiker, der die Riemannsche Gleichung entschlüsselt hat. Er soll mit diesem Schritt den mit dieser Entdeckung verbundenen wissenschaftlichen Fortschritt verhindern und auch, dass die Menschen, die von den Aliens als nicht sehr komplexe und friedliche Lebensform eingestuft werden, anderen Lebensformen auf anderen Planeten gefährlich werden können. Dabei geht es vor allem um die Bedeutung der Primzahlen. Sie sind der Schlüssel zu den Geheimnissen des Universums.

Matt Haig schafft es, mir die Mathematik von einer neuen Seite näherzubringen – sie scheint geheimnisvoller und interessanter zu sein, als ich dachte (in meinem mathematisch völlig unbegabten Spatzenhirn…).

Zurück zur Geschichte:

Unser Alien tötet den ehrgeizigen Mathematiker Martin Andrew – einer der klügsten Köpfe der Welt. Um ganz sicher zu gehen, dass dieser seine Entdeckung über die Riemannsche Gleichung mit niemandem geteilt hat, muss der Außerirdische ein paar Tage als Martin Andrews durchs Leben gehen. Er lernt seinen besten Freund, Kollegen und natürlich seine Ehefrau und seinen pubertierenden Sohn Gulliver kennen. Er stellt fest, dass die Dinge, die er über die Menschen glaubte zu wissen, auf den zweiten Blick nicht mehr so eindeutig und klar sind. Die Menschen scheinen komplizierte Wesen zu sein – wobei vor allem ihre Anderseitigkeit unseren Außerirdischen neugierig macht.

Der Außerirdische ist unsterblich. Seine Spezies hat schon lange den Schlüssel zum ewigen Leben gefunden. Sie besitzen unglaubliche Selbstheilungskräfte. Sie leben als Kollektiv. Das Individuum geht völlig darin auf: Alles zum Wohle der Gemeinschaft. Es sind Körper-, Form- und Weltenwandler. Was für unglaubliche Fähigkeiten – aber auch welch Langeweile! Keine Aufregung, keine Freude, keine Angst. Es treffen also völlig verschiedene Welten aufeinander. Schonungslos nimmt unser Alien die Menschenwelt in den Blick, entlarvt die menschliche Hybris, die Selbstsucht, den Narzissmus, die Zerstörungswut, die Kleingeistigkeit. Die menschliche Natur ist weit entfernt davon, „perfekt“ zu sein.

In der Welt gibt es Schmerz, Leid, Krankheit und Tod. Als Leserin musste ich unserem Alien oft beipflichten: Ja, wir Menschen sind schon ziemliche Arschlöcher. Wir sind nur auf unseren Vorteil bedacht. Wir reden viel, handeln wenig. Die Probleme auf der Welt sind von Menschen gemacht. Die Natur wäre ohne uns besser dran.

Und dann gibt es noch einen ganz anderen Blick auf uns. Je länger unser Außerirdischer als Andrew Martin unter Menschen lebt, desto mehr faszinieren ihn die Menschen. Er empfindet die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle. Er lernt die Liebe und das Glück kennen. Und am Ende trifft er eine Entscheidung, die er nicht rückgängig machen kann …

Und weil Matt Haig Matt Haig ist und er keine losen Fäden übriglässt und seine Erzählkunst am Ende immer einen Kreis beschreibt und keine Kanten, wird die Geschichte auch hier wieder „rund“. Unser menschenmordender Außerirdischer wird zum Philanthrop. Seine Erkenntnisse gibt er Andrew Martins Sohn Gulliver als Lebensweisheiten mit auf den Weg. Manche davon sind zum Schmunzeln, andere zum Nachdenken.

97 Ratschläge für einen Menschen (Matt Haig/Alien/Andrew Martin), Auszüge daraus:

Zweifle nicht an deinen Fähigkeiten. Du besitzt die Fähigkeit zu lieben, das ist genug.

Der technische Fortschritt kann die Menschen nicht retten. Das können nur die Menschen selbst.

Sei neugierig. Hinterfrage alles. Die Fakten der Gegenwart sind die Märchen der Zukunft.

Geschichte ist eine Sparte der Mathematik, ebenso die Literatur. Wirtschaft ist eine Religion.

Sex kann der Liebe schaden. Aber Liebe kann dem Sex nie schaden.

Du bist mehr als die Summe deiner Teile. Und diese Summe ist schon ziemlich groß.

Dunkle Materie ist das, was Galaxien zusammenhält. Dein Geist ist eine Galaxie. Mehr dunkel als Licht, doch es ist das Licht, wofür sich alles lohnt.

Auf der subatomaren Ebene ist alles komplex. Aber du lebst nicht auf der subatomaren Ebene. Du darfst die Dinge ruhig vereinfachen. Tust du es nicht, wirst du verrückt.

Pass auf, dass du nicht auf Schubalden reinfällst.

Du hast Glück, dass du lebst.

Mein Fazit: Lesen!

PS: Ach ja, das Hörbuch wurde von Christoph Maria Herbst eingelesen. Klar, dass das ein Knaller ist!

Matt Haig: Ich und die Menschen – als DTV-Taschenbuch.

Matt Haig: Ich und die Menschen – als Audible Hörbuch.

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