Nachdem ich über Alles über Beziehungen gemeckert habe, bin ich nach dem neuen Roman von Doris Knecht hin und weg. Weg hat mich von der ersten bis zur letzten Zeile gefesselt. Besonders die vielen Arten, wie man auf einem Moped fahren kann, fand ich als wiederkehrendes Motiv sehr gut gelungen und stimmig. Das Moped verbindet das Gestern mit dem Heute, verbindet die Personen Heidi und Georg und Europa mit Asien – die Kontinente und Orte sind wichtig, denn eigentlich handelt es sich bei WEG um einen Roadtrip durch Südostasien.
Worum geht es? Lotte, die 23jährige Tochter von Heidi ist verschwunden. Sie meldet sich nicht und ist für ihre Mutter nicht zu erreichen. Auch Lottes Vater Georg, der in der Nähe von Wien den Hirschen, ein Gasthaus mit guter regionaler Küche, betreibt, hat keine Ahnung, wo sich seine älteste Tochter aufhält. Georg lebt mittlerweile mit Lea zusammen. Mit ihr hat er Kinder, einen Hund und ein gutes Leben. Georg schätzt die Natur, das Essen, gute Lebensmittel, er ist zufrieden – nichts kann ihn so schnell aus der Ruhe bringen. Anders als Heidi…
Heidi und Georg hatten vor mehr als 20 Jahren eine kurze Beziehung, als Heidi in Wien studierte. Nach dem ersten Sex wurde sie schwanger. Beide – sie und Georg – fühlten sich weder reif für eine längere Beziehung, noch konnten sie sich vorstellen, bereits Eltern zu werden. Trotzdem entschied sich Heidi für das Kind und gegen Georg und zog zurück in eine deutsche Kleinstadt mit sehr überschaubaren Lebensparametern.
Heidi und Georg stammen aus unterschiedlichen Welten, aber sie tragen die gemeinsame Verantwortung für ihre Tochter (mehr oder weniger). Dass Lotte nicht nur eine Mutter, sondern auch einen Vater, der sich kümmert, benötigt hätte, wird klar, als bei ihr eine Krankheit, eine psychische Beeinträchtigung festgestellt wird, die es nötig macht, dass Lotte Medikemente nimmt. Lottes Leben wird ein Auf und Ab, wechselt zwischen Hoch- und Tiefstimmung mit einer guten Portion Rebellion und Provokation, mit der Heidi nicht selten überfordert ist.
Als Lotte verschwindet, brechen bei Heidi alte Sorgen und Ängste auf. Was, wenn ihre Tochter die Medikamente nicht nimmt? Ein Rückfall in alte Zeiten? Wenn es ihr schlecht geht? Wenn ihr neuer Freund nicht weiß, wie er mit einer psychisch labilen jungen Frau umgehen kann? Heidi kann nicht anders: Sie telefoniert sich durch alle Bekannten und Freunde von Lotte und erhält den Hinweis, dass sie mit ihrem Freund nach Vietnam aufgebrochen sei.
Heidi ist noch nie geflogen. (Dieser Umstand wird im Roman ziemlich ausgetreten, aber ok. Ich habe bisher auch noch keinen Langstreckenflug hinter mir. Und angesichts der Klimawandeldebatte bin ich froh, dass es mich nicht in die Fremde zieht, dies nur am Rande…) Mit dem Flug beginnt Heidis großes Abenteuer. Die Aufregung, die Angst, der erste Kulturschock nach der Landung in Ho-Chi-Minh-Stadt – das alles beschreibt Doris Knecht akribisch genau. Und ich konnte sehr gut mitfühlen. Manchmal tat mir Heidi leid, manchmal ist sie mir ziemlich auf die Nerven gegangen.
Doris Knecht erzählt aus verschiedenen Perspektiven. Man erfährt viel über die Gefühlslage von Heidi und Georg, über ihre Sehnsüchte, Träume und Ängste. Nur aus Lottes Sicht, um die es doch im Kern geht, oder die der Auslöser dafür war, dass Heidi und Georg nach so vielen Jahren zu einer gemeinsamen Reise aufbrechen – von Lotte erfährt man nur aus zweiter Hand. Und so bestimmen die Fantasien über Lotte das Bild, das man von ihr entwickelt, ohne sicher zu sein, ob dieses Bild mit der Person übereinstimmt. Was, wie ich finde, ein guter Erzählkniff ist… (passend zum Ende).
Eine „triviale Sozialstudie“ lese ich in einer Rezension der FAZ, „Herzkino“ nennt es der Deutschlandfunk abfällig und manche finden den Roman zu schnulzig, romantisch, gefühlsduselig mit einem allzu glatten Ende.
Klar. Das kann man so sehen. Zum Glück schreibt Doris Knecht aber ihre Geschichten nicht fürs Feuilleton, sondern u.a. für mich. Und ich habe mich sehr gut bei der Lektüre unterhalten bzw. beim Hörbuch, das von Oda Thormeyer wunderbar und wienerischem Timbre an den richtigen Stellen vorgelesen wurde.